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Keine Steuerbefreiung als Familienheim, wenn der Erblasser nie im Objekt gewohnt hat – FG München, Urteil vom 24.02.2016 – Az. 4 K 2885/14

Leitsätzliches:

1) Eine Selbstnutzungsabsicht muss vor Eintreten von Verhinderungsgründen bereits vorgelegen haben.
2) Allein die feste Absicht des zukünftigen Erblassers reicht für die Begünstigung als Familienwohnheim nicht aus.
3) Eine Immobilie, die vom Erblasser nie bewohnt wurde, wird vom Schutzzweck des “Familienwohnheimes” nicht gefasst.

 

Finanzgericht München

Datum: 24.02.2016

Gericht: FG München

Spruchkörper: 4 K

Entscheidungsart: Urteil

Aktenzeichen: 4 K 2885/14

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welchem Umfang der Klägerin im Rahmen der gegen sie festgesetzten Erbschaftsteuer die Steuerbefreiung unter dem Gesichtspunkt des Erwerbs des Familienheims zusteht.

Die Klägerin ist kraft Erbvertrages Alleinerbin ihres am 27. Juni 2010 verstorbenen Ehemannes, … (im weiteren Erblasser), geworden. Der umfangreiche Nachlass umfasst eine Vielzahl von in- und ausländischen Immobilien, einschließlich des Miteigentumsanteiles von ½ an dem von der Klägerin und dem Erblasser bis zu dessen Tode gemeinsam bewohnten Einfamilienhaus in M, X-Straße, sowie der Miteigentumsanteile von je ½ an zwei Eigentumswohnungen in M, Y-Straße. Letzteres ist der aktuelle Wohnsitz der Klägerin. Im Laufe des Jahres 2009 fassten der Erblasser und die Klägerin den Entschluss, ihren bisherigen Wohnsitz in ihrem Einfamilienhaus aufzugeben und in den Innenstadtbereich von M zu verlegen. Zu diesem Zwecke erwarben sie die beiden o.g. damals noch fertigzustellenden Eigentumswohnungen in der Y-Straße jeweils mit notariellem Vertrage vom 20. Mai 2009 zu Miteigentum von je ½ zusammen mit insgesamt drei Tiefgaragenstellplätzen. Die größere der beiden Wohnungen (Wohnung Nr. 21) umfasst eine Wohnfläche von 156 m2 und befindet sich im 5. Obergeschoss, die kleinere Wohnung (Wohnung Nr. 14) hat eine Wohnfläche von 95 m2 und liegt im 1. Obergeschoss des Gebäudes. Bei der kleineren Wohnung handelte es sich um eine sogenannte Musterwohnung des Bauträgerunternehmens, die der Erblasser und die Klägerin im voll möblierten Zustande erwarben. Der Erblasser und die Klägerin hatten die Absicht die größere Wohnung für ihre Wohnzwecke, die kleinere Wohnung hingegen als Arbeits- und Gästeräume zu verwenden. Im Juni 2009 erteilten der Erblasser und die Klägerin einem Maklerbüro den Auftrag, sich um den Verkauf ihres Einfamilienhauses zu kümmern. In den folgenden Monaten erfolgte die Fertigstellung der größeren Wohnung. Insbesondere hatten der Erblasser und die Klägerin umfangreiche und kostenaufwendige Bodenlege- und Elektroarbeiten, sowie zahlreiche Um- und Einbauten im Wohn-, Schlaf-, Küchen- und Badbereich in Auftrag gegeben, die laut den dem Gericht vorgelegten Rechnungsbelegen endgültig erst im März 2010 abgeschlossen waren. Nach dem Sachvortrag der Klägerin war ursprünglich geplant im März/April 2010 umzuziehen. Demgegenüber hatte der Erblasser am 6. Februar 2010 anlässlich einer ärztlichen Untersuchung die Diagnose einer schweren Krebserkrankung im fortgeschrittenen Stadium erhalten und musste sich in der Folgezeit nahezu ausschließlich zur stationären Behandlung in verschiedene Kliniken begeben. Aufgrund des sich ständig verschlechternden Gesundheitszustandes des Erblassers fand der geplante Umzug zu seinen Lebzeiten nicht mehr statt. Die Klägerin bezog die Wohnungen in der Y-Straße schließlich erst nach dem Tode des Erblassers Anfang September 2010.

In ihrer am 6. Mai 2011 beim Beklagten eingereichten Erbschaftsteuererklärung gab sie unter anderem an, für ihr Domizil in der Y-Straße die Steuerbefreiung für den Erwerb des Familienheimes in Anspruch nehmen zu wollen. Den Angaben der Klägerin folgend und unter Berücksichtigung der im Wesentlichen nur geschätzten Grundbesitzwerte der im Nachlass befindlichen Immobilien setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer der Klägerin mit Bescheid vom 19. August 2011 aufgrund des bis dahin nur vorläufig ermittelten Wertes des Erwerbes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 1.048.684,30 EUR fest. Unter anderem infolge der Bekanntgabe der die im Nachlass befindlichen Immobilien betreffenden Feststellungsbescheide über die jeweiligen Grundbesitzwerte sowie der nachträglichen Berücksichtigung der Pflichtteilsansprüche der beiden Töchter des Erblassers und der Klägerin änderte der Beklagte die Erbschaftsteuer der Klägerin jeweils unter Aufrechterhaltung des Vorbehaltes der Nachprüfung insgesamt fünfmal, zuletzt mit Erbschaftsteuerbescheid vom 9. September 2013. Auf der Grundlage eines Wertes des Erwerbes von 5.780.862,64 EUR setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer der Klägerin auf 804.164,43 EUR fest. Der Beklagte stand der Klägerin hierin unter anderem zum einen die Steuervergünstigung für vermietete Immobilien in Höhe von 10% ihres Grundbesitzwertes auch für den Miteigentumsanteil von ½ am Einfamilienhaus in der X-Straße und zum anderen die Steuerfreistellung des Grundbesitzwertes des Miteigentumsanteiles von ½ an der Wohnung Nr. 21 in der Y-Straße als sogenanntes Familienheim zu. Da der Nachlass unter anderem auch durch Bankverbindlichkeiten für die von der Besteuerung ausgenommene Wohnung Nr. 21 belastet war, erhöhte der Beklagte die erbschaftsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage dementsprechend um einen Betrag für nicht abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten von 144.519,22 EUR. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 19. September 2013 mit dem Ziel Einspruch ein, die Steuerfreistellung als Familienheim nicht nur für die Wohnung Nr. 21, sondern auch für die Wohnung Nr. 14 zu erhalten. Der Einspruch der Klägerin blieb jedoch in der Sache erfolglos. Nachdem der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 29. November 2013 auf die Möglichkeit der Verböserung in Gestalt der Versagung der Steuerfreistellung auch für die Wohnung Nr. 21 hingewiesen hatte, die Klägerin jedoch ihren Einspruch aufrecht erhielt, setzte er die Erbschaftsteuer der Klägerin durch seine Einspruchsentscheidung vom 7. Oktober 2014 zum einen auf 897.559,13 EUR herauf und wies zum anderen den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Gleichzeitig hob der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Bei unverändert gebliebenem Wert des Erwerbes ließ der Beklagte nunmehr die bislang berücksichtigte Steuerfreistellung des Grundbesitzwertes des Miteigentumsanteiles an der Wohnung Nr. 21 in Höhe von 573.500 EUR als Familienheim außer Ansatz. Außerdem versagte der Beklagte die bisher (zu Unrecht) gewährte Steuerfreistellung für vermietete Immobilien von 10% des Grundbesitzwertes des Hälfteanteiles am Wohnhaus in der X-Straße in Höhe von 87.570 EUR. Im Gegenzug berücksichtigte er zugunsten der Klägerin die durch den Wegfall der Steuervergünstigung für das Familienheim und die Kürzung der Steuervergünstigung für vermietete Immobilien eingetretene Minderung der nicht abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten. Die im Zusammenhang mit der Wohnung Nr. 21 stehenden Schulden in Höhe von 144.519,22 EUR wurden ebenso erneut voll abziehbare Nachlassverbindlichkeiten, wie die bisher als nicht abzugsfähig behandelten 10% der auf das Wohnhaus in der X-Straße entfallenden Schulden. Die in der Einspruchsentscheidung festgesetzte Erbschaftsteuer der Klägerin ergab sich demnach auf der Grundlage eines steuerpflichtigen Erwerbes von (abgerundet) 5.000.500 EUR unter Anwendung eines Steuersatzes von 19% aufgrund Steuerklasse I. Von der tariflichen Erbschaftsteuer von 950.095 EUR nahm der Beklagte noch einen Abzug für ausländische Erbschaftsteuer von 52.535,87 EUR vor.

Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2014 erhobene Klage, die die Klägerin im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Freistellung des Grundbesitzwertes eines Familienheims von der Erbschaftsteuer verfolge nach den Motiven des Gesetzgebers den Zweck das Familiengebrauchsvermögen krisenfest zu erhalten. Voraussetzung sei im Fall der Vererbung zwischen Ehegatten, dass zum einen der Erblasser bis zu seinem Tode darin gewohnt habe und zum anderen der hinterbliebene Ehegatte dieses weiterhin zu eigenen Wohnzwecken nutze. Im Streitfall hätten die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann bereits im März/April 2010 die beiden neu erworbenen Eigentumswohnungen in der Y-Straße beziehen wollen. An der Umsetzung dieses Entschlusses seien sie allein durch die schwere Erkrankung des Ehemannes gehindert worden, die schließlich zu seinem Tode geführt hat. Allein die zahlreichen Krankenhausaufenthalte des Ehemannes der Klägerin in der Zeit zwischen der Erstdiagnose seiner Erkrankung und seinem Tode machen deutlich, dass ein Umzug völlig unmöglich gewesen sei. Nach dem Wortlaut der Steuerbefreiungsvorschrift sei es ausdrücklich als unschädlich bezeichnet, wenn der Erblasser aus zwingenden Gründen an der Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert gewesen sei. Als solche zwingende Hinderungsgründe seien nach den Motiven des Gesetzgebers und auch nach Ansicht der Literatur Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit anerkannt. Auch die weitere Voraussetzung der unverzüglichen Selbstnutzung durch die Klägerin als Erbin sei angesichts ihres Einzugs in die Wohnung im September 2010 erfüllt. Schließlich stehe der Klägerin die Steuerfreistellung als Familienheim nicht nur für die Wohnung Nr. 21, sondern auch für die Wohnung Nr. 14 zu. Beide Wohnungen zusammengenommen sollten den Wohnbedarf der Klägerin und ihres Ehemannes decken und stellen daher ihr Familienheim dar. Der Begriff des Familienheimes sei nicht identisch mit dem bewertungsrechtlichen Begriff einer abgeschlossenen Wohnung. Auch wenn es sich bei beiden Eigentumswohnungen bewertungsrechtlich um zwei getrennte Bewertungsobjekte handeln sollte, so stehe dies nicht der Gewährung der Steuerfreistellung als Familienheim entgegen. In der Literatur sei auch anerkannt, dass zwei Wohnungen in einem Zweifamilienhaus im bewertungsrechtlichen Sinne durchaus ein einheitliches Familienheim nach dem Zweck der Befreiungsvorschrift darstellen könne, wenn diese als solche genutzt würden.

Die Klägerin beantragt,

den Erbschaftsteuerbescheid vom 9. September 2013 in der geänderten Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Oktober 2014 dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftsteuer auf 778.629,93 EUR herabgesetzt wird, hilfsweise, für den Fall der Klageabweisung, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Ansicht stehe der Klägerin für die beiden Wohnungen die Steuerbefreiung als Familienheim nicht zu. Zum einen gelte das Prinzip der Beschränkung auf ein Objekt, sodass keinesfalls zwei abgeschlossene und voneinander räumlich getrennte Wohnungen als einheitliches Familienheim angesehen werden könnten. Die Steuervergünstigung könne der Klägerin jedoch auch für die Wohnung Nr. 21 nicht gewährt werden, weil der Erblasser zu keinem Zeitpunkt dort gewohnt habe. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, warum nicht wenigstens die voll möblierte Wohnung Nr. 14 bereits vorab bezogen worden sei. Die dauerhafte Bereitstellung einer Wohnung ersetze nicht die tatsächliche Nutzung zu Wohnzwecken.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die die Klägerin betreffende Behördenakte und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2016 Bezug genommen.

Gründe:

  1. Die fristgerecht erhobene, und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet.
    1. Der Erwerb durch Erbanfall im Sinne des § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches unterliegt als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der auf den Streitfall anzuwendenden Fassung – ErbStG –). Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht etwa aufgrund der Vorschriften der §§ 5, 13, 13a, 13c, 16, 17 und 18 ErbStG steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Insbesondere nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG bleibt unter anderem der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück im Sinne des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) durch den überlebenden Ehegatten steuerfrei, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war und die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim). Die Steuerbefreiung fällt allerdings gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert.
    2. Bei Anwendung dieser gesetzlichen Vorschriften auf den Streitfall hat der Beklagte der Klägerin die begehrte Steuerfreistellung der Grundbesitzwerte der im Nachlass befindlichen Miteigentumsanteile an den Eigentumswohnungen Nr. 21 und 14 in M in der Y-Straße zu Recht unter dem Gesichtspunkt des Familienheimes versagt. Die gesetzlichen Voraussetzungen des Erwerbes eines bestehenden und vom Erblasser bis zum Eintritt des Erbfalles zu eigenen Wohnzwecken genutzten Familienheimes sind in Bezug auf die genannten Eigentumswohnungen nicht erfüllt.

      aa) Die hier in Rede stehenden beiden Wohnungen der Klägerin sind – zumindest jeweils für sich betrachtet – als Eigentumswohnungen im bewertungsrechtlichen Sinne (vgl. § 181 Abs. 1 Nr. 3 BewG) uneingeschränkt als Objekt der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG geeignet. In Bezug auf die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung steht jedoch außer Zweifel, dass der Erblasser niemals in die im Mai 2009 gemeinsam mit der Klägerin erworbenen beiden Eigentumswohnungen eingezogen ist. Vielmehr hat sich – und dies ist ebenfalls unstreitig – der gemeinsame Wohnsitz des Erblassers und der Klägerin bis zum Erbfall in ihrem Wohnhaus in M in der X-Straße befunden. Damit ist die Grundvoraussetzung der Steuerfreistellung in Gestalt der Nutzung der betreffenden Wohnungen durch den Erblasser zu eigenen Wohnzwecken nicht erfüllt. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass der Erblasser und die Klägerin den festen Entschluss gefasst hatten, ihren Wohnsitz in die neu erworbenen Wohnungen zu verlegen, sobald insbesondere die Wohnung Nr. 21 nach ihren gestalterischen Vorstellungen fertiggestellt sein würde. Allein die feste Absicht, eine Wohnung in nächster Zukunft zu eigenen Wohnzwecken beziehen zu wollen, ist der tatsächlichen Nutzung dieser Wohnung im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG aber auch dann noch nicht gleichzustellen, wenn die Umsetzung dieser Absicht durch konkrete Baumaßnahmen oder Umzugsvorbereitungen bereits in die Wege geleitet worden ist.

      bb) Der Klägerin ist jedoch einzuräumen, dass die Anwendung der im Streit stehenden Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG auch dann zugelassen wird, wenn der Erblasser aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert gewesen ist. Diese zwingenden, objektiven Hinderungsgründe können im Rahmen der Steuerbefreiungsvorschrift in zweifacher Hinsicht gegeben sein. Zum einen können sie in der Person des Erblassers vorliegen und ihn an der Selbstnutzung der Wohnung bis zum Eintritt des Erbfalles hindern; zum anderen können sie in der Person des erbenden Ehegatten gegeben sein und ihn von der Ausübung der Selbstnutzung nach dem Erbfall abhalten. In beiden Fällen ist die Inanspruchnahme der Steuerfreistellung dennoch ausnahmsweise zugelassen. Für die letztgenannte Alternative ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass derartige zwingende Gründe dann anzunehmen seien, wenn diese das selbständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen Familienheim beispielsweise infolge von Pflegebedürftigkeit oder Tod des Erwerbers unmöglich machen (vgl. Bundestags-Drucksache 16/11107 vom 26. November 2008). Der Senat sieht keinen Grund dafür, dass die nach den Motiven des Gesetzgebers für die Kriterien der in der Person des Erwerbers eingetretenen Hinderungsgründe im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG nicht auch für die tatbestandliche Alternative der in der Person des Erblassers möglichen Hinderungsgründe nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG gelten sollen (Finanzgericht – FG – München Urteil vom 22. Oktober 2014, 4 K 2517/12, EFG 2015, 238). Im Schrifttum ist weithin anerkannt, dass schwere Erkrankungen oder krankheitsbedingte längere stationäre Klinik- oder Sanatoriumsaufenthalte derartige zwingende Hinderungsgründe darstellen können (vgl. etwa Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher ErbStG § 13 Rn. 69; Kobor in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter ErbStG 5. Auflage 2014, Rn. 37; Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz ErbStG 4. Auflage 2012, § 13 Rn. 53; Meincke ErbStG 16. Auflage 2012, § 13 Rn. 25; Schmitt in Tiedtke ErbStG § 13 Rn. 145). Im Einzelfall ist hierbei nach objektiven Maßstäben zu prüfen, ob die Schwere der (gesundheitlichen) Beeinträchtigungen die Annahme rechtfertigt, der Erblasser habe in der Wohnung nicht mehr wohnen können (vgl. Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz ErbStG 4. Auflage 2012, § 13 Rn. 53).

      Der Senat zieht im Streitfall nicht in Zweifel, dass die Anfang Februar 2010 beim Erblasser diagnostizierte schwere Erkrankung sowie seine in den Folgemonaten hierdurch erforderlich gewordenen mehrfachen Klinikaufenthalte ihn vernünftigerweise daran gehindert haben, in die gegen März 2010 bezugsfertig gewordene Wohnung Nr. 21 umzuziehen. Gleichwohl sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG im Streitfall nicht erfüllt. Die zwingenden objektiven Hinderungsgründe können nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Befreiungsvorschrift die Selbstnutzung durch den Erblasser bis zum Eintritt des Erbfalles nur dann ersetzen, wenn diese Selbstnutzung immerhin zu einem früheren Zeitpunkt, das heißt vor Entstehung der Hinderungsgründe, tatsächlich vorgelegen hat (vgl. Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz ErbStG 4. Auflage 2012, § 13 Rn. 53). Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin ist der Wortlaut der Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG nicht in diesem Sinne zu verstehen, dass alternativ zum Fall der Selbstnutzung durch den Erblasser bis zum Eintritt des Erbfalles allein das Vorliegen zwingender Hinderungsgründe in seiner Person für die Gewährung der Steuerbefreiung ausreichten, selbst wenn die Selbstnutzung durch den Erblasser überhaupt noch nie stattgefunden hat. Dies ergibt sich aus dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Befreiungsvorschrift, die zum einen dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes und zum anderen der Lenkung in immobiles Vermögen dient, um das Familiengebrauchsvermögen krisenfest zu erhalten (vgl. Bundestags-Drucksache 16/11107 vom 26. November 2008). Der Schutzzweck der Befreiungsvorschrift ist demnach nicht auf die bloße Erhaltung des in Immobilien ruhenden Vermögenswertes gerichtet, sondern zielt auf die Sicherung des gegenständlich-räumlichen Fortbestandes des eigengenutzten Wohneigentums einer Familie. Anders als durch die Schaffung bloßer sachlicher oder persönlicher Freibeträge, wie etwa nach den Vorschriften der §§ 13a, 13c, bzw. § 16 ErbStG, die lediglich einen betragsmäßig bestimmten Wert des erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbes rechnerisch von der Besteuerungsgrundlage ausnehmen, wird durch § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG ein bestimmter Gegenstand des Nachlassvermögens aufgrund seiner konkreten Verwendung von der Erbschaftsteuer freigestellt. Das impliziert zum einen, dass die vom Erblasser eigengenutzte Wohnimmobilie auch nach dem Erbfall noch rein gegenständlich vorhanden sein muss, um vom erwerbenden Ehegatten zu Wohnzwecken eigengenutzt werden zu können. Ist dies etwa nicht der Fall, weil sie aus sanierungs-, bautechnischen oder sonstigen Gründen durch den erwerbenden Ehegatten beispielsweise zum Zweck der Erstellung eines Neubaus auf demselben Grundstück abgerissen wird, so ist der Befreiungstatbestand selbst dann nicht erfüllt, wenn der Neubau schließlich tatsächlich durch den erbenden Ehegatten zu Wohnzwecken genutzt wird (vgl. FG München Urteil vom 22. Oktober 2014, 4 K 847/13, EFG 2015, 236). In Bezug auf die vergleichbare Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG, die das Familienheim im Erbfall den erbenden Kindern erhalten soll, ist bundesgerichtlich entschieden, dass die Steuerfreistellung dann ausgeschlossen ist, wenn der Erwerber von vorneherein an der Eigennutzung des betreffenden Gebäudes zu Wohnzwecken gehindert ist (vgl. Bundesfinanzhof – Urteil – vom 23. Juni 2015 II R 13/13, BFHE 250, 203). Hieraus wird deutlich, dass der Steuerbefreiungszweck nur erfüllt ist, wenn der Gegenstand des Familiengebrauchsvermögens auch nach dem Erbfall als solcher im Wesentlichen erhalten und in Verwendung bleibt. Zum anderen kann der Zweck der Befreiungsvorschrift auch nur erfüllt sein, wenn die betreffende Immobilie in der Zeit vor dem Erbfall bereits als eigengenutztes Familiengebrauchsvermögen gelten konnte. Hat eine solche Zweckverwendung der Immobilie vor dem Eintritt des Erbfalles noch überhaupt nicht stattgefunden, wie dies im Streitfall für die erst im Jahre 2010 bezugsfertig erstellte Wohnung Nr. 21 gilt, kann der Zweck der Fortsetzung des Familiengebrauchs nicht erreicht werden. Eine Immobilie, die bis zum Eintritt des Erbfalles überhaupt nie durch den Erblasser zu Wohnzwecken eigengenutzt worden ist, ist von dem Schutzzweck der Norm nicht erfasst. Die Steuerbefreiungsvorschrift dient allein dem gegenständlich-räumlich Fortbestand des bestehenden Familienheimes über den Erbfall hinaus. Dieser gegenständlich-räumliche Bezug kann nicht von dem bis zum Erbfall eigengenutzten Objekt nach dem Erbfall auf eine andere Immobilie übertragen werden.

      cc) Der Senat erkennt durchaus, dass allein der konkrete Geschehensablauf im Streitfall die Inanspruchnahme der – im Übrigen von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Erblassers bzw. des erbenden Ehegatten völlig unabhängigen – Steuerfreistellung unter dem Gesichtspunkt des Familienheimes vereitelt hat. Der Inanspruchnahme der Steuerbefreiung in Bezug auf das tatsächlich vom Erblasser bis zu seinem Tode eigengenutzte Wohnhaus in M, X-Straße, steht der Umstand der späteren Veräußerung durch die Klägerin entgegen (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG), wogegen das ursprünglich als künftiges geplante und jetzt aktuelle Domizil der Klägerin vor dem Erbfall gerade noch nicht im Familiengebrauch gewesen ist.

      Der Senat sieht sich nicht veranlasst, die Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG im Sinne der Erfassung auch derjenigen Sachverhalte, in denen – wie im Streitfall – gerade im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erbfall ein räumlicher Wohnsitzwechsel stattgefunden hat, extensiv auszulegen. Steuerbegünstigungsvorschriften sind grundsätzlich unter sinnvoller Würdigung des mit ihnen verfolgten Zwecks auszulegen. Es darf einerseits kein durch das Gesetz nicht belegter Begünstigungstatbestand geschaffen werden; andererseits ist es nicht zulässig, einen von mehreren nach den allgemeinen Regeln der Rechtsanwendung in Betracht kommenden Gesetzeszwecken außer Acht zu lassen und dadurch den Anwendungsbereich der nach ihrem Wortlaut weiter gefassten Norm einzuschränken (BFH Urteil vom 25. Januar 1995 X R 191/93, BFHE 177, 65, BStBl II 1995, 586). Steuerbefreiungsnormen sind als Ausnahmen vom Grundsatz der Besteuerung grundsätzlich in Bezug auf ihren Wortlaut eher restriktiv auszulegen (vgl. BFH Urteil vom 4. November 1986 VIII R 1/84, BFHE 148, 446, BStBl II 1987, 259). Die tatbestandlichen Grenzen solcher Ausnahmen zu definieren, obliegt allein dem Gesetzgeber. Der Rechtsprechung ist demgegenüber die tatbestandliche Ausweitung der Anwendung einer solchen Rechtsnorm über ihren Wortlaut hinaus verwehrt. Dies hat auch für die gesetzliche Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG zu gelten.

      dd) Da der Klägerin aus den dargestellten Erwägungen bereits für die Wohnung Nr. 21 die Steuerbefreiung als Familienheim nicht zusteht, braucht sich der Senat mit der bereits im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren problematisierten Rechtsfrage, ob sie die Vergünstigung zusätzlich für die Wohnung Nr. 14 beanspruchen darf, nicht mehr zu befassen. Abgesehen davon, dürfte im Streitfall der Ausweitung der Steuerbefreiung auf die vier Stockwerke weiter unten liegende Wohnung Nr. 14 und dem Verständnis als einheitliches Familienheim der fehlende räumlich-gegenständliche Zusammenhang mit der Wohnung Nr. 21 entgegenstehen. Letztlich kann diese Rechtsfrage aber dahin gestellt bleiben.

  2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
  3. Die Revision wird zugelassen, weil die Auslegung der Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG in dem hier entscheidungserheblichen Punkt grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FGO).