Suche
  • Direkter Kontakt:
  • terhaag@duetrust.de | +49 (211) 879 37 37
Suche Menü

Gleichzeitiges Versterben kann in bestimmten Fällen Jahre auseinander liegen. – OLG Hamm, Beschluss vom 06.01.2011 – Az. I-15 Wx 484/10

Leitsätzliches:

1) Ein Fall des "gleichzeitigen Versterbens" im eigentlichen Wortsinn ist in der Praxis selten und auch in aller Regel nicht beweisbar.
2) Bei der Auslegung des Begriffs "gleichzeitiges Versterben" gibt es keine absoluten zeitlichen Grenzen.
3) Das Gericht muss alle Quellen des Einzelfalls heranziehen.

Az. I-15 Wx 484_10 - DueLog

NRW

Oberlandesgericht Hamm

Datum: 06.01.2011

Gericht: OLG Hamm

Spruchkörper: I-15 Wx

Entscheidungsart: Beschluss

Aktenzeichen: I-15 Wx 484/10

Gründe:

I.)
Die Beteiligten zu 2) bis 11) sind die gesetzlichen Erben der Erblasserin, die Beteiligte zu 1) ist die Tochter der Beteiligten zu 11). Die Erblasserin und ihr Ehemann haben am 19.02.1982 in notarieller Form ein gemeinschaftliches Testament errichtet. In diesem haben sie sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Ziff.2 der notariellen Urkunde lautet wie folgt:
"Für den Fall, dass wir gleichzeitig versterben sollten, soll unser Nachlass fallen an unsere beiderseitige Nichte T H, .... Sollte unsere Nichte hiernach zur Erbfolge gelangen, so soll die Verwaltung dieses von Todes wegen erworbenen Vermögens bis Erlangung der Volljährigkeit allein ihrer Mutter, ..., obliegen ..."
Der Ehemann der Erblasserin ist im Juli 2007 verstorben. Zu diesem Zeitpunkt war die Erblasserin nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1) und 11) bereits nicht mehr testierfähig. Die Beteiligten streiten darüber, ob Ziff. 2 des gemeinschaftlichen Testaments dahingehend ausgelegt werden kann und muss, dass die Beteiligte zu 1) nicht allein für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute als Schlusserbin eingesetzt sein sollte. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Darstellung in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Die Beteiligte zu 1) hat einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweisen soll, die Beteiligte zu 2) einen solchen, der die gesetzliche Erbfolge ausweisen soll. Durch gesonderte Beschlüsse vom 28.12.2009 hat das Amtsgericht den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen und im Wege des Vorbescheids den Erlass eines Erbscheins entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 2) angekündigt. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der Beteiligten zu 1) vom 15.01. und 17.03.2010 hat das Landgericht zurückgewiesen, wogegen sie sich mit der weiteren Beschwerde wendet.
II.) Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG i.V.m. Art.111 Abs.1 FGG-RG statthaft sowie formgerecht eingelegt.
Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) ergibt sich daraus, dass ihre Erstbeschwerden ohne Erfolg geblieben sind.
In der Sache ist die weitere Beschwerde begründet, da die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs.1 FGG. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist die Kammer zutreffend von zulässigen ersten Beschwerden ausgegangen. In sachlicher Hinsicht hält die Entscheidung der rechtlichen Prüfung hingegen nicht stand.
Die Kammer hat die Zurückweisung des Erbscheinsantrages der Beteiligten zu 1) sowie den Vorbescheid zugunsten der Beteiligten zu 2) damit begründet, dass das gemeinschaftliche Testament vom 19.02.1982 keine Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1) enthalte, so dass nach der Erblasserin die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Die Einsetzung der Beteiligten zu 1) beziehe sich dem Wortlaut nach allein auf den Fall des gleichzeitigen Ablebens der Eheleute, der jedoch nicht eingetreten sei. Eine Auslegung dahingehend, dass die Schlusserbeneinsetzung auch für den Fall gelten solle, dass ein Ehegatte den anderen um mehrere Jahre überlebe, sei nicht möglich, da sich hierfür in dem Wortlaut des Testaments kein hinreichender Anlass finde.
Dem kann der Senat insoweit nicht folgen, als das Landgericht gemeint hat, dass sich Anhaltspunkte dafür, dass die testierenden Eheleute von einem Wortverständnis ihrer Verfügung ausgegangen sind, das von dem allgemeinen Begriffsverständnis abweicht, aus der Urkunde selbst ergeben müssten. Dabei ist der Kammer zuzugeben, dass die von ihr angeführten Entscheidung des BayObLG (FamRZ 2004, 1235 ) in diesem Sinne verstanden werden könnte. Der Senat teilt einen derartigen, die allgemeinen Auslegungsregeln einschränkenden Rechtsstandpunkt jedoch nicht.
Auszugehen ist von der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGHZ 86, 41ff ), dass der Wortlaut einer Verfügung ihrer Auslegung keine absoluten Grenzen setzt. Der Tatrichter muss daher zunächst versuchen, anhand aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen den tatsächlichen Erblasserwillen bzw. im Falle des gemeinschaftlichen Testaments den der Testatoren zu ermitteln (§§ 133, 2084 BGB). Dieser Notwendigkeit hat sich die Kammer hier verschlossen, indem sie gemeint hat, dass der Begriff des "gleichzeitigen Versterbens" so eindeutig sei, dass es besonderer Anhaltspunkte im Wortlaut der Testamentsurkunde selbst bedürfe, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass hiermit auch der Fall gemeint sei, dass der Längerlebende erhebliche Zeit nach dem anderen versterbe. Der Senat kann schon den Ausgangspunkt dieser Argumentation, dass nämlich der Wortlaut eindeutig sei, nicht teilen.
Auch die Kammer geht in Übereinstimmung mit der von ihr angeführten Rechtsprechung des BayObLG davon aus, dass ein Fall des gleichzeitigen Versterbens im eigentlichen Wortsinn praktisch selten, und -wie der Senat bemerkt- auch in aller Regel nicht beweisbar ist (so auch BayObLGZ 1981, 79ff ), weshalb jedenfalls auch der Fall gemeint sei, dass die Eheleute in kurzem zeitlichen Abstand versterben. Schon diese Überlegung zeigt, dass die Erklärung gemessen an dem sich in diesem Zusammenhang stellenden Regelungsbedarf so überspitzt ist, dass sie als letztwillige Verfügung praktisch kaum wirksam werden kann, wenn man sie entsprechend dem allgemeinen Wortsinn versteht. Berücksichtigt man also über den allgemeinen Wortsinn hinaus die schlichte Tatsache, dass die jeweilige letztwillige Verfügung eine Regelung herbeiführen soll, dann ergibt sich die Auslegungsnotwendigkeit aus dem Wortlaut des Testaments selbst. Dann ist es aber nach der o.a. Rechtsprechung des BGH nicht zulässig, sich bei der Auslegung auf den Wortlaut der Erklärung zu beschränken.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich vorliegend um ein öffentliches Testament handelt. Dass der Notar den Willen der Urkundsbeteiligten erforschen und unzweideutig beurkunden soll, entspricht zwar den gesetzlichen Vorgaben (§ 17 BeurkG), in der Praxis werden diese jedoch immerhin so häufig verfehlt, dass sich hieraus in tatsächlicher Hinsicht keine Ausnahme vom Gebot der amtswegigen Erforschung des Erblasserwillens ableiten lässt. Allenfalls wenn diese zu keinem abweichenden Ergebnis führt, mag die Tatsache der Beurkundung ein Indiz für ein Verständnis entsprechend dem allgemeinen Wortsinn sein.
Die Kammer hätte sich bei der Auslegung demnach nicht auf den Wortlaut beschränken dürfen, sondern hätte die von der Beteiligten zu 1) benannten Zeugen vernehmen müssen. Auf diesem Unterlassen beruht die Entscheidung, da sich nicht ausschließen lässt, dass die Kammer auf der Grundlage einer solchen Beweisaufnahme zu einem anderen Auslegungsergebnis gelangt wäre.
Allerdings ist auch nach dem Rechtsstandpunkt des Senats zunächst vom Wortlaut des Testaments auszugehen, wobei hier nicht zu verkennen ist, dass bei der Verwendung des Begriffs "gleichzeitiges Versterben" an den Nachweis eines (gemeinschaftlichen) Willens, hiermit auch den Fall eines um Jahre auseinander fallenden Versterbens zu regeln, erhebliche Anforderungen zu stellen sind. Praktisch ist dies kaum vorstellbar, wenn sich nicht durch die Vernehmung der vormaligen Notarin feststellen lässt, dass dieser Begriff von ihrer Seite eingeführt worden ist und die Erblasser hiermit jedenfalls ein anderes Verständnis verbunden haben. Ob sich die erforderlichen Feststellungen angesichts des fortgeschrittenen Alters der Notarin und dem schwer nachvollziehbaren erbschaftssteuerrechtlichen Zusammenhang, der hier nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1) hergestellt worden sein soll, noch möglich ist, mag zweifelhaft sein. Dies rechtfertigt es aber nicht, von dem Versuch der Klärung Abstand zu nehmen. Sollte sich diese Feststellung allerdings treffen lassen, dann ist es geboten, auch die weiteren Zeugen zu vernehmen, in deren Wissen spätere Willensäußerungen der Eheleute H gestellt worden sind. Zwar kommt es für den Regelungswillen alleine auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung an, jedoch können spätere Willensäußerungen, je nach ihren Umständen, durchaus einen Rückschluss auf diesen zulassen. Legt man insoweit, was im Rahmen der Rechtsbeschwerde geboten ist, den Vortrag der Beteiligten zu 1) zugrunde, so könnte sich ein Beweisergebnis ergeben, nach dem die Ehegatten die Schlusserbeneinsetzung unbedingt, jedenfalls aber für den Fall gewollt haben, dass der Längerlebende den Erstversterbenden zwar um eine erhebliche Zeitspanne überlebt, aber bereits im Zeitpunkt des Todes des Erstversterbenden zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist.
Der Beachtlichkeit eines solchen Auslegungsergebnisses ständen auch die gesetzlichen Vorschriften über die Form letztwilliger Verfügungen (vgl. § 2231 BGB) nicht entgegen.
Nach der ganz h.A., der auch die Rechtsprechung des Senats entspricht (vgl. Senat NJW-RR 1991, 1349ff ), muss der durch die Auslegung ermittelte Erblasserwille in der formwirksamen Erklärung wenig ansatzweise oder auch versteckt angedeutet sein (grundlegend zur Andeutungstheorie und zum Meinungsstand Staudinger/Otte, BGB, Neubearb. 2003, Vorbem. zu §§ 2064ff Rdn.28ff). Insoweit ist einzuräumen, dass die Vertreter der Andeutungstheorie bislang nicht in der Lage waren, Übereinstimmung hinsichtlich der konkreten Anforderungen zu entwickeln und auch die obergerichtliche Rechtsprechung nicht immer eine einheitliche Linie hinsichtlich der Anforderungen an die Andeutung des Erblasserwillens erkennen lässt. Gleichwohl teilt der Senat die Auffassung, dass im Grundsatz an der Andeutungstheorie festzuhalten ist, da allein sie in der Lage ist, vom Ansatz her die gesetzlichen Postulate des Vorrangs des Erblasserwillens einerseits und der Formbedürftigkeit letztwilliger Verfügungen in Einklang zu bringen.
Hinsichtlich der sich aus diesem Ansatz ergebenden Anforderungen an die Andeutung des Erblasserwillens ist insbesondere die Funktion der Form zu berücksichtigen, den Erblasser für den Zeitpunkt seiner Äußerung "beweismäßig" zu sichern und gegen eine spätere Verfälschung zu sichern (vgl. BGHZ 80, 246ff = NJW 1981, 1736ff ). Diese Funktion erfüllt die Form jedenfalls dann nicht mehr, wenn sich bereits die Auslegungsnotwendigkeit aus der formgerechten Willenserklärung nicht mehr herleiten lässt, die Gültigkeit der Willensäußerung sich also bereits mit der schlichten Behauptung eines abweichenden tatsächlichen Willens in Frage stellen ließe. Lässt sich eine Auslegungsnotwendigkeit und die generelle Willensrichtung hingegen aus dem Wortlaut herleiten, so ist ein solcher Schutz des Erblasserwillens vor Verfälschung gewährleistet, so dass es auf die Ermittlung eben dieses Willens ankommt. Wollte man die Andeutungstheorie hingegen so verstehen, dass sich schon das Auslegungsergebnis selbst in der formgerechten Willenserklärung andeuten müsste, würde man der Auslegung, insbesondere der ergänzenden Auslegung Grenzen setzen, die mit der o.a. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht vereinbar wären. Hier ist die Einsetzung eines Schlusserben für den Fall des gleichzeitigen Versterbens, wie oben dargelegt, keineswegs eindeutig, sondern in jedem Falle auslegungsbedürftig, weil dieser Fall praktisch jedenfalls kaum beweisbar sein wird. Weiter lässt die getroffene Verfügung den übereinstimmenden Willen der Eheleute erkennen, die gesetzliche Erbfolge auszuschließen und die Beteiligte zu 1) zu begünstigen. Nach alledem ergibt sich aus der Formbedürftigkeit der letztwilligen Verfügung keine Grenze für die Geltung eines Auslegungsergebnisses im Sinne der Beteiligten zu 1), wenn sich die hierfür notwendigen Feststellungen denn treffen lassen.
Soweit man die o.a. Entscheidungen des BayObLG so verstehen sollte, dass dort der Rechtssatz vertreten wird, bei einem (vordergründig) eindeutigen Wortlaut müssten sich die Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung inhaltlich aus dem Wortlaut der letztwilligen Verfügung selbst ergeben, ergibt sich aus dem dann abweichenden Rechtstandpunkt des Senats keine Vorlageverpflichtung nach § 28 Abs.2 FGG. Denn das OLG München, das in Ansehung der Vorlageverpflichtung als Nachfolgegericht des aufgelösten BayObLG zu behandeln ist, hat in seinem Beschluss vom 14.10.2010 (31 Wx 084/10 , bei juris) ausdrücklich den Rechtsstandpunkt vertreten, dass auch außerhalb der Testamentsurkunde liegende Umstände für die Auslegung einer gleichlautenden Formulierung in einem Testament heranzuziehen sind. Von daher besteht keine Divergenz mehr.

Az. I-15 Wx 484_10 - Chronologie