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Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten – BFH, Urteil vom 14.11.2018 – Az. II R 34/15

Leitsätzliches:

1) Erwirkt der Erblasser noch zu Lebzeiten durch eine Anfechtung des festgesetzten Einkommensteuerbescheids die Aussetzung des Vollzugs, können die Einkommensteuerschulden dennoch als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden.
2) Bei der Ermittlung der Zahl der Beschäftigten einer Holdinggesellschaft sind die Arbeitnehmer von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, nicht einzubeziehen (dies ist die Rechtslage für Erwerbe bis einschließlich 6. Juni 2013).

Bundesfinanzhof

Datum: 14.11.2018

Gericht: BFH

Spruchkörper: II R 34/15

Entscheidungsart: Urteil

Aktenzeichen: II R 34/15

Tatbestand:

I.

Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihre beiden Schwestern sind zu je 1/3 Erben ihres 2007 verstorbenen Vaters (Erblasser). Die Beigeladene ist die Witwe des Erblassers. Der Nachlass bestand aus einer Vielzahl von Beteiligungen und Vermögensgegenständen. U.a. war der Erblasser an einer Holding-KG beteiligt.

In ihrer Erbschaftsteuererklärung machten die Erbinnen u.a. Einkommensteuerschulden des Erblassers als Nachlassverbindlichkeiten geltend, und zwar in Höhe von 186.830,53 € für das Veranlagungsjahr 1996 und in Höhe von 6.417.618,57 € für das Veranlagungsjahr 1999. Die zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheide wurden noch zu Lebzeiten vom Erblasser angefochten und insoweit antragsgemäß von der Vollziehung ausgesetzt. Sie sind noch nicht bestandskräftig.

Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 20. Juni 2008 setzte der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) die Erbschaftsteuer gegen die Klägerin in Höhe von 8.592.736 € fest. Abweichend von der Erbschaftsteuererklärung berücksichtigte das FA die Einkommensteuerschulden der Veranlagungszeiträume 1996 und 1999 nicht als Nachlassverbindlichkeiten. Der Einspruch gegen den Erbschaftsteuerbescheid, zuletzt im Einspruchsverfahren geändert am 12. Dezember 2008, wurde vom FA mit Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 2009 als unbegründet zurückgewiesen. Dabei nahm das FA hinsichtlich der streitigen Einkommensteuerschulden des Erblassers einen Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 der Abgabenordnung (AO) in den Steuerbescheid auf.

Am 25. Juni 2009 beantragte die Klägerin die Durchführung der Besteuerung nach dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz i.d.F. des Erbschaftsteuerreformgesetzes 2009 (ErbStRG 2009) vom 24. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 3018) -ErbStG-. Im Verlauf des Klageverfahrens gab die Klägerin eine entsprechende Erbschaftsteuererklärung ab. Es ergingen zahlreiche Änderungsbescheide, die jeweils Gegenstand des Klageverfahrens wurden. Der letzte Änderungsbescheid im Klageverfahren datiert vom 22. Mai 2015. Darin folgte das FA der Erklärung im Wesentlichen. Streitig blieben die Nichtberücksichtigung der Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten, der Ansatz einer Forderung in Höhe von 1.500.000 € gegen die Beigeladene sowie eine vom FA vorgenommene Kürzung des Verschonungsabschlags für den Erwerb der Beteiligung an der Holding-KG im Hinblick auf die Lohnsummengrenze des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG.

Die Holding-KG hatte selbst weniger als 20 Beschäftigte. Unter Einbeziehung der Beschäftigten der nachgeordneten Beteiligungsgesellschaften ergab sich eine Ausgangslohnsumme zur Berechnung der Lohnsummengrenze in Höhe von 93.169.223 €. Im Zeitraum von fünf Jahren nach dem Erbfall betrug die Lohnsumme insgesamt 358.632.511 € und damit 3,77 % weniger als 400 % der Ausgangslohnsumme. Die Beträge sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Das FA kürzte den Verschonungsabschlag des § 13a Abs. 1 ErbStG um 3,77 %.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1618 veröffentlichten Urteil teilweise statt. Die Forderung in Höhe von 1.500.000 € war nach seiner Auffassung nicht anzusetzen, weil im Zeitpunkt des Todes des Erblassers ein Rückforderungsanspruch aus dem Darlehensvertrag noch nicht bestanden habe. Den Verschonungsabschlag nach § 13a ErbStG habe das FA zu Unrecht um 3,77 % gekürzt. Die Lohnsummenregelung sei nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG u.a. dann nicht anzuwenden, wenn der übertragene Betrieb -wie im Streitfall die Holding-KG- nicht mehr als 20 Beschäftigte habe. Entgegen der Ansicht des FA sei nach der im Streitfall geltenden Fassung des ErbStG die Anzahl der Beschäftigten von verbundenen Unternehmen nicht einzubeziehen.

Im Übrigen hat das FG die Klage abgewiesen. Die Einkommensteuerschulden für 1996 und für 1999 könnten nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden. Wegen der Aussetzung der Vollziehung (AdV) hätten die Erben die Abgabenforderungen zum Stichtag nicht begleichen müssen. Es fehle insoweit an einer wirtschaftlichen Belastung.

Das FA hat den Erbschaftsteuerbescheid im Revisionsverfahren zuletzt am 5. Oktober 2018 geändert, die Darlehensforderung in Höhe von 1.500.000 € mit 0 € berücksichtigt und die Erbschaftsteuer auf 5.395.134 € herabgesetzt.

Mit ihren Revisionen wenden sich das FA gegen die Nichtanwendung der Lohnsummenregelung und die Klägerin gegen die Nichtberücksichtigung der ausgesetzten Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid vom 5. Oktober 2018 dahingehend zu ändern, dass die für die Jahre 1996 und 1999 festgesetzten und ausgesetzten Einkommensteuerschulden in Höhe von 186.830,53 € für das Jahr 1996 und in Höhe von 6.417.618,57 € für das Jahr 1999 als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden.

 

Gründe:

II.

Das Urteil des FG war aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). An die Stelle des Erbschaftsteuerbescheids vom 22. Mai 2015, über den das FG entschieden hat, ist während des Revisionsverfahrens zuletzt der Änderungsbescheid vom 5. Oktober 2018 getreten und nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 15. März 2017 II R 10/15, BFH/NV 2017, 1153, Rz 11, m.w.N.).

Einer Zurückverweisung der Sache an das FG nach § 127 FGO bedarf es nicht, da sich aufgrund des Änderungsbescheids an den zwischen den Beteiligten streitigen Punkten nichts geändert hat (BFH-Urteil in BFH/NV 2017, 1153, Rz 12, m.w.N.). Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des BFH; sie fallen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, da das finanzgerichtliche Urteil nicht an einem Verfahrensmangel leidet (BFH-Urteil in BFH/NV 2017, 1153, Rz 12, m.w.N.).

III.

Die Sache ist spruchreif. Der gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordene Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Oktober 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Einkommensteuerschulden für die Jahre 1996 und 1999 sind, soweit die Vollziehung der Bescheide ausgesetzt wurde, entgegen der Auffassung des FG als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG steuermindernd zu berücksichtigen. Der Verschonungsabschlag ist -wie vom FG zutreffend angenommen- nicht im Hinblick auf die Lohnsummenregelung nach § 13a Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 ErbStG zu kürzen.

1. Die Einkommensteuerschulden sind als Nachlassverbindlichkeiten steuermindernd zu berücksichtigen, auch soweit die Vollziehung ausgesetzt ist.

a) Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Dabei ist unerheblich, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juli 2012 II R 15/11, BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790, Rz 13 ff.).

b) Der Abzug als Nachlassverbindlichkeiten setzt nicht nur voraus, dass die Steuerschulden im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits entstanden waren oder -für die Einkommensteuer des Todesjahres- der Erblasser den Tatbestand, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft, bereits verwirklicht hatte (vgl. BFH-Urteile in BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790, Rz 13, und vom 28. Oktober 2015 II R 46/13, BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477, Rz 12). Die Steuerschulden müssen darüber hinaus im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477, Rz 12, m.w.N.).

c) Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden (§ 85 AO) und somit im Todeszeitpunkt die erforderliche wirtschaftliche Belastung mit der Steuerschuld gegeben ist (BFH-Urteil in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477, Rz 14). Dies gilt erst recht für im Bewertungsstichtag bereits durch Steuerbescheid festgesetzte Steuern. Diese belasten den Erblasser ebenso wie den Erben als dessen Gesamtrechtsnachfolger. Insoweit gilt etwas anderes als in dem Fall, in dem die Steuer im Todeszeitpunkt noch nicht gegenüber dem Erblasser festgesetzt war und auch später nicht gegen die Erben festgesetzt wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477, Rz 18). Da das Finanzamt festgesetzte Steuern aufgrund des Steuerbescheids nach Maßgabe des Sechsten Teils der AO selbst vollstrecken kann, steht der Steuerbescheid einem vollstreckbaren (zivilrechtlichen) Schuldtitel gleich.

d) Die Einlegung eines Einspruchs durch den Erblasser zu dessen Lebzeiten führt nicht dazu, dass die wirtschaftliche Belastung durch die festgesetzte Steuer wegfällt. Will das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt eine niedrigere als die festgesetzte Steuer als Nachlassverbindlichkeit ansetzen, bedarf es dafür besonderer Gründe, die den sicheren Schluss zulassen, dass das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt die Steuer materiell-rechtlich unzutreffend festgesetzt hat und der zugrunde liegende Bescheid im Einspruchsverfahren aufgehoben oder geändert wird. Der bloße Verweis darauf, dass der Steuerbescheid mit dem Einspruch angefochten wurde und daher die materiell-rechtlich zutreffende Höhe noch nicht genau feststeht, reicht dafür nicht aus.

e) Dasselbe gilt für die Gewährung der AdV. Diese bewirkt für den Zeitraum ihrer Wirksamkeit nur, dass das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt entgegen § 361 Abs. 1 Satz 1 AO und § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht aus dem angefochtenen Bescheid vollstrecken und die festgesetzte Steuer beitreiben kann. Der Steuerpflichtige bleibt gleichwohl in Höhe der festgesetzten Steuer belastet, er muss sie nur nicht während der Dauer der AdV entrichten. Beruht die AdV auf ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung (vgl. § 361 Abs. 2 Satz 2 AO, § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO), ändert das nichts an der wirtschaftlichen Belastung durch die festgesetzte Einkommensteuer. Die Gewährung der AdV begründet noch keinen sicheren Schluss, dass der Bescheid aufgehoben werden wird.

f) Der Verweis des FA auf die Rechtsprechung zur ertragsteuerrechtlichen Berücksichtigung ungewisser Verbindlichkeiten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Januar 2017 I R 70/15, BFHE 257, 66, BStBl II 2017, 780, zu Rückstellungen für Entsorgungsverpflichtungen) führt zu keinem anderen Ergebnis. Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für den Ansatz von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches trotz des unterschiedlichen Regelungsbereichs mit denen für den Ansatz von Nachlassverbindlichkeiten im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung überhaupt vergleichbar sind. Voraussetzung für die Bildung von Rückstellungen für ungewisse öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten ist eine hinreichende Konkretisierung durch Gesetz oder Verwaltungsakt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 257, 66, BStBl II 2017, 780, Rz 21). Spätestens mit der Festsetzung einer Steuerschuld durch Steuerbescheid ist die durch sie begründete öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit hinreichend konkret und stellt ab diesem Zeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dar.

g) Sind die Voraussetzungen für den Ansatz von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG erfüllt, hat die Finanzbehörde diese bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer zu berücksichtigen. Die Möglichkeit, den Bescheid nach § 165 AO vorläufig zu erlassen, steht dem nicht entgegen, sondern ist eine u.U. notwendige Begleitregelung. Bei der Entscheidung darüber handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 2014 I R 32/13, BFHE 248, 110, BStBl II 2015, 575; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 165 AO Rz 25). Dagegen besteht bei der Entscheidung über den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung kein Ermessen. Liegen die Voraussetzungen für den Abzug im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung vor und ist lediglich ungewiss, ob diese auch nach weiterer Prüfung rechtlich Bestand haben werden, sind die Nachlassverbindlichkeiten bei der Steuerfestsetzung abzuziehen. Die Nachlassverbindlichkeiten in einem solchen Fall trotz Vorliegens der Voraussetzungen (vorläufig) nicht anzuerkennen, würde § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zuwiderlaufen. Insoweit gilt etwas anderes als z.B. beim Vorläufigkeitsvermerk in Liebhabereifällen, bei dem es ermessensfehlerfrei sein kann, die Steuer zunächst ohne Berücksichtigung von Verlusten festzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 27. November 2008 IV R 17/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 771).

h) Nach diesen Grundsätzen sind die gegen den Erblasser festgesetzten Einkommensteuern 1996 und 1999, auch soweit die Bescheide von der Vollziehung ausgesetzt sind, als Nachlassverbindlichkeiten steuermindernd zu berücksichtigen.

Der bloße Hinweis auf die anhängigen Rechtsbehelfsverfahren und die gewährte AdV reicht für sich allein nicht aus, die gegen den Erblasser festgesetzten Steuern im Erbschaftsteuerbescheid nicht anzusetzen. Das lange andauernde finanzgerichtliche Verfahren bezüglich der Einkommensteuer zeigt zudem, dass die materiellen Rechtsfragen im Streitfall kompliziert und umstritten sind. Das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt hat offensichtlich die Festsetzung der Einkommensteuer trotz der umfassend gewährten AdV noch nicht geändert oder zurückgenommen.

Besondere Umstände, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, die streitigen Einkommensteuerschulden in anderer Höhe oder -wie geschehen- gar nicht als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen, hat das FA nicht dargelegt. Die im Hinblick auf die endgültige Festsetzung der Einkommensteuer vorläufige Festsetzung der Erbschaftsteuer steht der Anerkennung der Verbindlichkeiten nicht entgegen. Vielmehr ermöglicht die Vorläufigkeit dem FA, die Festsetzung der Erbschaftsteuer nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO entsprechend zu ändern, wenn die Einkommensteuerfestsetzung ganz oder teilweise aufgehoben wird.

2. Der Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist nicht im Hinblick auf die Lohnsummenregelung zu kürzen.

a) Das seit dem 1. Januar 2009 geltende ErbStG ist auf den Streitfall anwendbar. Zwar ereignete sich der Erbfall bereits 2007 und damit vor Inkrafttreten des ErbStRG 2009, das grundsätzlich nur auf Erwerbsvorgänge Anwendung findet, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entsteht (vgl. § 37 Abs. 1 ErbStG). Die Klägerin hat jedoch von der in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG 2009 eingeräumten Wahlmöglichkeit Gebrauch gemacht und rechtzeitig (Art. 3 Abs. 2 ErbStRG 2009) die Anwendung des neuen Erbschaftsteuerrechts beantragt.

b) § 13a Abs. 1 Sätze 2 und 4 ErbStG wurden durch Art. 6 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes (WBG) vom 22. Dezember 2009 (BGBl I 2009, 3950) geändert. Die geänderten Vorschriften sind auf Erwerbe anzuwenden, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entsteht (§ 37 Abs. 3 Satz 1 ErbStG i.d.F. des Art. 6 Nr. 4 Buchst. a WBG -ErbStG 2009-). Art. 14 WBG erweitert die Anwendung dieser Vorschriften auf die Fälle, in denen -wie hier- das Wahlrecht nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG 2009 ausgeübt wurde.

Nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG 2009 ist Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Verschonungsabschlags, dass die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen des Betriebs, bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft oder Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft, innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb (Lohnsummenfrist) insgesamt 400 %der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet (Mindestlohnsumme). Das Erfordernis des Nichtunterschreitens der Mindestlohnsumme gilt nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2009 jedoch nicht, wenn die Ausgangslohnsumme 0 € beträgt oder der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat.

c) Unter “Betrieb” i.S. des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2009 ist dabei -dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der Vorschrift folgend- diejenige wirtschaftliche Einheit zu verstehen, für deren Erwerb die Steuerbegünstigung in Anspruch genommen wird. Dabei sind mehrere rechtlich selbständige wirtschaftliche Einheiten nicht als ein “Betrieb” zusammenzufassen. Das gilt selbst dann, wenn zum Betriebsvermögen einer Holdinggesellschaft Beteiligungen an Gesellschaften gehören, die ebenfalls Arbeitnehmer beschäftigen. Bei der Ermittlung der Zahl der Beschäftigten einer Holdinggesellschaft sind folglich nicht die Arbeitnehmer von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, einzubeziehen (vgl. Philipp in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 13a ErbStG Rz 38; Crezelius, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2009, 1 [4]).

d) Aus dem Zusammenhang mit der Regelung über die Berechnung der Lohnsumme bei Konzernsachverhalten folgt nichts Gegenteiliges.

Gehören zum Betriebsvermögen des Betriebs, bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft und Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft, unmittelbar oder mittelbar Beteiligungen an Personengesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) haben, oder Anteile an Kapitalgesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland, einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat des EWR haben, wenn die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung mehr als 25 % beträgt, sind die Lohnsummen dieser Gesellschaften einzubeziehen zu dem Anteil, zu dem die unmittelbare und mittelbare Beteiligung besteht (§ 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG).

§ 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG enthält nur Regelungen für die Ermittlung der Lohnsumme in Konzernstrukturen, nicht aber dazu, ob überhaupt eine Lohnsumme festgestellt werden muss. Aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift lässt sich nicht schließen, dass die Zahl der Beschäftigten von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, bei der Ermittlung der Zahl der bei der Holdinggesellschaft Beschäftigten einzubeziehen ist. § 13a Abs. 1 und Abs. 4 ErbStG haben unterschiedliche Regelungsinhalte. Während nach § 13a Abs. 1 ErbStG zu prüfen ist, ob überhaupt eine Lohnsumme festzustellen ist, regelt § 13a Abs. 4 ErbStG die Einzelheiten der Berechnung der Lohnsumme. Die Prüfung nach Abs. 1 der Vorschrift ist systematisch und logisch vorrangig, denn bevor die Lohnsumme der Höhe nach berechnet wird, ist zunächst zu klären, ob die Lohnsumme dem Grunde nach für die Besteuerung relevant wird.

e) Die Begründung des Gesetzgebers zum ErbStRG und zu den Regelungen in § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG sowie § 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG (BTDrucks 16/7918, S. 33 f.) bietet ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, bei der Anwendung des § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG die Beschäftigten von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, einzubeziehen.

Zum einen genügt es nicht, dass sich Voraussetzungen oder Rechtsfolgen allein den Gesetzesmaterialien entnehmen lassen. Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text Niederschlag gefunden hat. Die Gesetzesmaterialien dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 2017 II R 44/15, BFHE 260, 363, BStBl II 2018, 358, Rz 30, m.w.N.).

Zum anderen lässt sich den Gesetzesmaterialien auch kein einheitlicher Wille in Bezug auf die Berechnung der Anzahl der Beschäftigten in Holdinggesellschaften entnehmen, der eine unbeabsichtigte, durch teleologische Auslegung zu füllende Regelungslücke begründen würde.

Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass bei Unternehmen, die keine Arbeitnehmer beschäftigen oder unter§ 23 Abs. 1 Satz 3 des Kündigungsschutzgesetzes fallen, auf die Lohnsumme als Prüfungsmaßstab verzichtet werden sollte (BTDrucks 16/7918, S. 33). Demgegenüber sollte § 13a Abs. 4 ErbStG die maßgebliche Lohnsumme näher beschreiben. Gehörten zum Vermögen eines zu bewertenden Betriebs (Mutterbetrieb) Beteiligungen an anderen Unternehmen (Tochterbetriebe), müssten die Lohnsummen der Tochterbetriebe einbezogen werden. Anderenfalls -so die Vorstellung des Gesetzgebers- wäre es unschädlich, Beteiligungen zu verkaufen oder aufzugeben oder Arbeitsplätze in Tochterbetrieben abzubauen, solange nur die Lohnsumme des Mutterbetriebs nicht unter die Mindestgrenze sinke (BTDrucks 16/7918, S. 34).

Daraus lässt sich nicht der Wille des Gesetzgebers ableiten, auch bei der Berechnung nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG die Zahl der Beschäftigten von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung besteht, einzubeziehen. Im Gegenteil macht die Begründung deutlich, dass der Gesetzgeber bewusst zwischen der Frage, ob überhaupt eine Lohnsumme maßgebend ist, und -wenn ja- wie diese zu berechnen ist, klar unterschieden hat.

f) Eine andere Auslegung des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2009 zur Vermeidung einer unangemessenen Begünstigung von Erwerbern betrieblichen Vermögens gegenüber Erwerbern nicht begünstigten Vermögens ist wegen des eindeutigen Wortlauts nicht möglich. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Regelungen in §§ 13a und 13b ErbStG in der im Streitjahr gültigen Fassung insgesamt für verfassungswidrig erklärt (vgl. BVerfG-Urteil vom 17. Dezember 2014 1 BvL 21/12, BStBl II 2015, 50). Gerade die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Pflicht zur Einhaltung der Mindestlohnsumme stelle eine unverhältnismäßige Privilegierung dar; dies gelte erst recht, soweit § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG Gestaltungen zulasse, welche die unentgeltliche Übertragung von Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ohne Einhaltung der Lohnsummenvorschrift ermögliche (BVerfG-Urteil in BStBl II 2015, 50, Rz 257). Trotz der Verfassungswidrigkeit der Normen hat das BVerfG §§ 13a und 13b ErbStG für weiter anwendbar erklärt. Angesichts dessen ist die hier streitige Regelung zur Lohnsumme nicht durch eine Auslegung gegen den Wortlaut zu korrigieren, um den verfassungswidrigen Zustand abzumildern.

g) Schließlich folgt auch aus der Neuregelung des § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2009 durch Art. 30 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 -AmtshilfeRLUmsG- (BGBl I 2013, 1809), wonach nicht nur für die Berechnung der Lohnsummen, sondern auch für die Berechnung der Anzahl der Beschäftigten die Beteiligungen i.S. des § 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG 2009 einzubeziehen sind, nichts anderes. Diese Regelung gilt nur für Erwerbe, für die die Steuer nach dem 6. Juni 2013 entsteht (§ 37 Abs. 8 ErbStG i.d.F. des Art. 30 Nr. 3AmtshilfeRLUmsG). Auf frühere Erwerbe kann die Vorschrift aufgrund dieser klaren Anwendungsregelung nicht entsprechend angewendet werden. Sie gilt nicht nur deklaratorisch, sondern konstitutiv.

h) Nach diesen Grundsätzen war im Streitfall der Verschonungsabschlag nicht um 3,77 % zu kürzen. § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG 2009 ist auf die von der Klägerin erworbene Beteiligung an der Holding-KG nicht anzuwenden, da die Holding-KG nach den bindenden Feststellungen des FG zum Steuerentstehungszeitpunkt weniger als 20 Beschäftigte hatte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Dabei war zu berücksichtigen, dass ein Teil der nachlassmindernden Positionen erst im Laufe des Verfahrens vor dem FG vorgetragen und vom FA unstreitig gestellt wurde. Eine Entscheidung über die Kosten der Beigeladenen war nicht zu treffen. Diese hat keine Sachanträge gestellt (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juni 2016 II R 24/15, BFHE 254, 60, BStBl II 2017, 128, Rz 21).