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Der Testamentsvollstrecker im Spannungsfeld von Vor- und Nacherbschaft – BGH, Urteil vom 14.05.1986 – Az. IVa ZR 100/84

Leitsätzliches:

1) Der Testamentsvollstrecker hat die Substanz für die Nacherben zu erhalten.
2) Der Vorerbe hat nur die gewöhnlichen Erhaltungskosten gegen sich wirken zu lassen.

Bundesgerichtshof

Datum: 14.05.1986

Gericht: BGH

Spruchkörper: IVa ZR

Entscheidungsart: Urteil

Aktenzeichen: 5 IVa ZR 100/84

Tatbestand:

Die am 18. Oktober 1976 verstorbene Erblasserin hinterließ unter anderem ein privatschriftliches Testament vom 21. Dezember 1975 und ein notarielles Testament vom 30. Juli 1976. Aufgrund des privatschriftlichen Testaments wurde sie zunächst von ihrem 1977 nachverstorbenen Bruder H als Vorerben und danach von dessen vier Töchtern, den Klägerinnen, als Nacherben beerbt. In diesem Testament heißt es weiter:

“Als Nacherben bestimme ich Kinder und Kindeskinder des Erben. Eine ausdrückliche Bedingung ist, daß der gesamte Nachlaß ungeteilt erhalten bleiben muß und jede Veräußerung ausgeschlossen ist. Der Erbe erhält mit jährlicher Abrechnung den Reingewinn aus den Nachlaßerträgnissen ausbezahlt”.

In dem notariellen Testament ordnete die Erblasserin Testamentsvollstreckung (Dauervollstreckung) an und bestimmte ferner:

“Der Testamentsvollstrecker hat den Reinertrag des Nachlasses an die Erben entsprechend der Erbteile nach Ablauf des Kalenderjahres auszuzahlen. Der Reinertrag ist jeweils am 1. Februar des folgenden Jahres fällig”.

Testamentsvollstrecker ist der Beklagte. Er wies in seinem Bericht über das Geschäftsjahr 1980 einen Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben in Höhe von 81.414,82 DM aus. Mit der Klage verlangen die Klägerinnen Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen. Der Beklagte verweigert die Zahlung mit der Begründung, der Überschuß sei mit Verlusten aus den Vorjahren zu verrechnen. Das lassen die Klägerinnen nicht gelten. Es sei vielmehr gemäß § 2038 Abs. 2 Satz 3 BGB für jedes Jahr getrennt abzurechnen; ein Verlustvortrag sei nicht zulässig. Hilfsweise stützen sie ihre Klage auf die Gewinne für die Jahre 1981 und 1982. Demgegenüber macht der Beklagte geltend, er sei für persönliche Steuerschulden der Klägerinnen in Vorlage getreten, mit denen ein etwaiger Gewinn verrechnet werden müsse. Die Klägerinnen halten dem entgegen, in der Rechnung seien in erheblichem Umfang Posten enthalten, die nicht zu ihren Lasten gingen; das gelte für die werterhöhenden Modernisierungskosten, die der Beklagte auf die zum Nachlaß gehörigen Miethäuser verwendet habe.

Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 41.907,37 DM nebst Zinsen verurteilt und hat die Klage im übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klage auf die Berufung des Beklagten ganz abgewiesen und hat die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen diese ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Gründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht legt die letztwilligen Verfügungen dahin aus, der Wille der Erblasserin sei dahin gegangen, die Substanz des gesamten Nachlasses auf Dauer, auch für die Kinder der Klägerinnen, ungeteilt zu erhalten und jede Veräußerung auszuschließen. Der Reingewinn bzw. Reinertrag, den der Beklagte nach den Testamenten der Erblasserin jährlich an die Erben auszuschütten hat, sei daher durch Gegenüberstellung aller im Zusammenhang mit dem Erbfall entstehenden Ausgaben und Einnahmen zu ermitteln. Auf dieser Grundlage stellt das Berufungsgericht fest, daß die Ausgaben des Beklagten für die Jahre 1976 bis 1982 (737.181,65 DM) die Einnahmen (489.778,29 DM) bei weitem überstiegen.

II.

Diese Begründung ist nicht rechtsfehlerfrei.

1. Soweit die Revision meint, hier greife § 2038 Abs. 2 Satz 3 BGB ein, vermag der Senat ihr allerdings nicht zu folgen. § 2038 BGB regelt das Verhältnis mehrerer Miterben untereinander, bindet aber nicht den Testamentsvollstrecker. Ein Dauervollstrecker (§ 2209 BGB), um einen solchen handelt es sich hier, hat den Nachlaß in Besitz zu nehmen, im allgemeinen auf Dauer in seinem Besitz zu halten und ordnungsmäßig zu verwalten (§ 2216 Abs. 1 BGB). Das gilt grundsätzlich auch für die Nutzungen des Nachlasses (Baur JZ 1958, 465, 467 f.; RG HRR 1929 Nr. 1652; RG Recht 1922 Nr. 615). Herausgabe derartiger Nutzungen kann der Erbe von dem Testamentsvollstrecker daher nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung – vorbehaltlich einer anders lautenden Verfügung von Todes wegen – nur dann verlangen, wenn das den Grundsätzen der ordnungsmäßigen Verwaltung (§ 2216 Abs. 1 BGB) entspricht (RG LZ 1918, 1268 f.; Recht 1922 Nr. 615; h.M.; nach anderer Meinung, wenn die Voraussetzungen des § 2217 BGB vorliegen, z.B. Baur JZ 1958, 465, 468; vermittelnd MK/Brandner, BGB § 2217 Rdn. 4). Als Ausgangspunkt maßgebend ist daher insoweit, wie das Berufungsgericht im Ergebnis nicht verkannt hat, der durch Auslegung zu ermittelnde Wille der Erblasserin.

2. Bei der Auslegung hat das Berufungsgericht jedoch die Rechtsstellung der Klägerinnen aufgrund des Testaments vom 21. Dezember 1975 nicht hinreichend berücksichtigt.

Es versteht dieses Testament (“Als Nacherben bestimme ich die Kinder und Kindeskinder des Erben”.) in Übereinstimmung mit dem von den Klägerinnen vorgelegten Erbschein und mit dem Vortrag des Beklagten dahin, daß die Klägerinnen nicht nur zu Nacherben nach ihrem Vater eingesetzt, sondern zugleich ihrerseits durch die Berufung ihrer eigenen Kinder als weitere Nacherben beschränkt und also auch Vorerben sind. Diese Auslegung ist jedenfalls rechtlich möglich und daher bei der Prüfung der Frage, was die Klägerinnen von dem Beklagten zu beanspruchen haben, vom Revisionsgericht zugrunde zu legen. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß den Klägerinnen als Vorerbinnen, ebenso wie vorher ihrem Vater, im Verhältnis zu den Nachnacherben die vollen Nutzungen (§ 100 BGB) ihrer Vorerbschaft gebühren und daß für die Nacherben (lediglich) die Substanz erhalten bleiben muß (BGHZ 78, 177, 188; Baur/Grunsky, ZHR 133 (1970), 209, 211; Hefermehl, Festschrift für H. Westermann, 1974 S. 223, 229). Dafür, daß die Anordnungen der Erblasserin über die jährlich auszuzahlenden Beträge den Anspruch der Klägerinnen auf die Nutzungen zugunsten von Nachnacherben schmälern und ihnen einen Teil der Nutzungen nehmen sollen, oder daß ein Teil dieser Nutzungen zu ihren Gunsten unter der Verwaltung des Testamentsvollstreckers angesammelt werden soll, sind hinreichende Anhaltspunkte bisher nicht festgestellt. Daher muß die Auslegung der Reinertragsklausel an dem Umfang des materiellen Nutzungsrechtes der Klägerinnen orientiert werden. Dem steht nicht entgegen, daß die Substanz des gesamten Nachlasses nach dem Willen der Erblasserin auf Dauer ungeteilt erhalten werden und jede Veräußerung unterbleiben soll. Auch der Beklagte hat sich durch die Klausel mit Recht nicht gehindert gesehen, zum Zweck der Konsolidierung des Nachlasses aus diesem im Jahre 1978 Grundbesitz und Aktien im Wert von insgesamt über 1,3 Mio. DM zu veräußern.

Das angefochtene Urteil kann daher nicht bestehen bleiben.

3. Die Revision nimmt die Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben durch den Beklagten nach Maßgabe des Berufungsurteils weitgehend hin; sie rügt aber in erster Linie, das Berufungsgericht habe das Vorbringen der Klägerinnen nicht ausreichend gewürdigt, soweit es die Behauptung betrifft, der Beklagte habe von den gezogenen Nutzungen (Einnahmen) Ausgaben in Höhe von über 600.000,- DM zu Unrecht abgezogen. Dabei handele es sich um wertsteigernde Modernisierungskosten, die der Beklagte in den Jahren 1976 bis 1982 auf die zum Nachlaß gehörigen Miethäuser aufgewendet habe.

Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang es sich bei den genannten Kosten um solche handelt, die den Klägerinnen zur Last fallen dürfen. Dabei wird zu beachten sein, daß den Klägerinnen in ihrer Eigenschaft als Vorerbinnen nach dem Gesetz außer den Fruchtziehungskosten (§ 102 BGB) im Verhältnis zu den Nacherben nur die für den Nachlaß aufgewendeten gewöhnlichen Erhaltungskosten (§ 2124 Abs. 1 BGB) zur Last fallen (vgl. z.B. Hefermehl, aaO). Diese Abgrenzung zwischen den Rechten des Vorerben und des Nacherben muß, sofern der Erblasser keine andere Verfügung getroffen hat, auch der Testamentsvollstrecker beachten (vgl. Baur JZ 1958, 467 rechte Spalte).

Die allgemeine Erwägung des Berufungsgerichts, bei älteren Gebäuden seien Renovierungsmaßnahmen erforderlich um die Substanz auf Dauer zu erhalten, reicht insoweit nicht aus.