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Nachlasspflegschaft trotz umfangreicher Testamentsvollstreckung? – LG Stuttgart, Beschluss vom 17.07.2009 – Az. 1 T 61/09

Leitsätzliches:

Ist der Testamentsvollstrecker mit umfassenden Rechten zur Nachlassverwaltung ausgestattet, bedarf es keiner Anordnung der Nachlasspflegschaft.

Landgericht Stuttgart

Datum: 17.07.2009

Gericht: LG Stuttgart

Spruchkörper: 1 T

Entscheidungsart: Beschluss

Aktenzeichen: 1 T 61/09

Gründe:

Die Beschwerde ist gem. §§ 19, 20 FGG zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg.

Das Nachlassgericht hat zu Unrecht für den Nachlass des Erblassers Nachlasspflegschaft gem. § 1960 Abs. 2 BGB angeordnet, ein Fürsorgebedürfnis für eine Nachlasspflegschaft besteht nicht.

I.

1. Der Erblasser hat in seinem notariell beurkundeten Testament vom 26.6.1992 (Bl. 27 d. NA.) seine Ehefrau M.K. zur alleinigen Vorerbin und als Nacherbin die nach seinem Tod zu gründende Stiftung “E.-K.-Stiftung” eingesetzt, die auch Ersatzerbin sein soll. Die alleinige Vorerbin hat, gesetzlich vertreten durch ihren Betreuer, die Erbschaft ausgeschlagen (Bl. 64 d. NA.; Entgegennahme der Ausschlagungserklärung durch das Nachlassgericht in Bl. 73 d. NA.). Die für die Erbausschlagung erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung hat der Betreuer dem Nachlassgericht mitgeteilt (Bl. 94, 95 d. NA.), so dass die Ausschlagung wirksam geworden und die Ersatzerbfolge der Stiftung eingetreten ist.

2. Weiter hat der Erblasser in § 6 des genannten Testaments Testamentsvollstreckung angeordnet und zwei Personen zu Testamentsvollstreckern berufen. In dessen § 6 Abs. 3 hat er die Testamentsvollstrecker von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. § 6 Abs. 4 hat folgenden Wortlaut:

“Die Testamentsvollstrecker sind auch berechtigt und verpflichtet, etwaige Pflichtteilsansprüche oder Pflichtteilsergänzungsansprüche zu befriedigen und den Nachlass gegenüber solchen Pflichtteilsansprü chen/Pflichtteilsergänzungsansprüchen umfassend zu vertreten.”

In zwei späteren notariellen Testamenten vom 29.12.1998 und 5.12.2000 (Bl. 29, 31 d. NA.) hat der Erblasser Änderungen bezüglich der Person der Testa mentsvollstrecker verfügt.

3. In § 7 des notariellen Testaments vom 22.6.1992 (Bl. 27 d. NA.S. 5) hat der Erblasser folgende weitere Anordnung getroffen:

“Sollten sich bei meinem Tod oder im Zeitpunkt des Eintritts der Nacherb folge Schwierigkeiten ergeben wegen der Rechtsnachfolge der “E.K.-Stiftung” mit dem Sitz in S., so gilt das Land … als Erbe ersatzweise ein gesetzt oder als Nacherbe bestimmt mit der Auflage nach Schaffung dieser Stiftung durch meine Testamentsvollstrecker das gesamte Vermö gen an diese Stiftung herauszugeben; der Nachlaß wird bis zu dessen Zeitpunkt voll von den Testamentsvollstreckern verwaltet; die auch das Herausgabevermächtnis vollziehen können.”

Die Testamente wurden vom Nachlassgericht am 2.12.2008 eröffnet (Bl. 36 d. NA.).

4. Nach Ablehnung des Testamentsvollstreckeramtes durch den zunächst Berufenen wurden die Verfahrensbeteiligten Ziff. 4 und 5 ersatzweise Testamentsvollstrecker gemäß der testamentarischen Anordnung im Testament vom 5.12.2000 (Bl. 31 d.A.). Beide haben das Amt angenommen (Bl. 67 d. NA.; Entgegennahme der Annahmeerklärung durch das Nachlassgericht Bl. 69 d. NA.).

5. Mit in vorliegendem Verfahren angegriffenem Beschluss vom 21.4.2009 hat das Nachlassgericht Nachlasspflegschaft angeordnet und den Beteiligten Ziff. 7 zum Nachlasspfleger bestellt. Der Wirkungskreis des Nachlasspflegers besteht danach “in der Wahrnehmung von Rechten und Erfüllung von Pflichten des derzeit unbekannten Erben, insbesondere im Verhältnis zu den Testamentsvollstreckern und zu den Pflichtteilsberechtigten. Innerhalb dieses Aufgabenkreises ist der Nachlasspfleger befugt, alle nach seinem Ermessen notwendigen oder zweckmässigen Erklärungen abzugeben und entgegenzunehmen, Rechtshandlungen vorzunehmen, Zustellungen entgegenzunehmen, Rechtsmittel einzulegen und auf solche zu verzichten. Im übrigen obliegt die Verwaltung des Nachlasses den Testamentsvollstreckern.”

6. Das Nachlassgericht begründet die Anordnung der Nachlasspflegschaft damit, dass mit der wirksamen Ausschlagung der zunächst berufenen alleinigen Vorerbin die noch zu gründende Stiftung ersatzweise Alleinerbin geworden sei. Die Anerkennung der Rechtsfähigkeit sei bis zum Eintritt des Ersatzerbfalls noch nicht erfolgt. Zur Wahrnehmung der Rechte und Pflichten des Erben bedürfe es einer Nachlasspflegschaft, insbesondere seien die Testamentsvollstrecker verpflichtet, ein Nachlassverzeichnis gem. § 2215 BGB vorzulegen. Etwaige Pflichtteilsansprüche könnten gem. § 2213 Abs. 1 BGB nicht gegenüber den Testamentsvollstreckern, sondern nur gegenüber dem Erben geltend gemacht werden.

7. Die Testamentsvollstrecker haben gegen den die Nachlasspflegschaft anordnenden Beschluss des Nachlassgerichts Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die Nachlasspflegschaft aufzuheben (Bl. 104 d. NA.). Sie begründen die Beschwerde damit, dass kein Bedürfnis für eine Nachlasspflegschaft bestehe. Es sei auch unklar, welche Rechte und Pflichten des unbekannten Erben der Nachlasspfleger konkret wahrnehmen solle. Nach § 6 Abs. 3 und 4 des Testaments vom 26.6.1992 stünden den Testamentsvollstreckern alle Rechte zu, die ihnen nach dem Gesetz eingeräumt werden können. Auch Pflichtteilsansprüche könnten ihnen gegenüber kraft der ausdrücklichen Bestimmung im Testament geltend gemacht werden. Grundsätzlich bestehe beim Vorhandensein von Testamentsvollstreckern kein Bedürfnis für eine Nachlasspflegschaft. Vielmehr werde der Nachlass lediglich mit Kosten belastet, die wegen der Vergütungsansprüche des Nachlasspflegers anfielen.

8. Die Stiftungsbehörde (Bet. Ziff. 6) vertritt ebenfalls die Ansicht, dass eine Nachlasspflegschaft nicht erforderlich sei (Bl. 108 d. NA.).

9. Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 4.6.2009 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt. Es ist der Ansicht, zur Überbrückung des Schwebezustandes bis zur Genehmigung der vom Erblasser gegründeten Stiftung sei eine Nachlasspflegschaft erforderlich, damit der noch unbekannte Erbe gegenüber den Testamentsvollstreckern seine Rechte wahrnehmen könne.

10. Der Nachlasspfleger (Bet. Ziff. 7) hält die Anordnung der Nachlasspflegschaft für erforderlich, ebenso die Witwe des Erblassers (Bet. Ziff. 3).

Auf den Akteninhalt, insbesondere die Testamente des Erblassers, die Beschlüsse des Nachlassgerichts und die gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist gem. §§ 19, 20 FGG zulässig, insbesondere sind die Testamentsvollstrecker beschwerdebefugt (BayObLG NJWE-FER 2001, 237). Die Beschwerde ist auch in der Sache erfolgreich.

Das Nachlassgericht hat zu Unrecht eine Nachlasspflegschaft angeordnet, weil ein Fürsorgebedürfnis für den Nachlass im Sinne von § 1960 BGB nicht besteht.

Der Erblasser hat in § 6 seines Testaments vom 22.6.1992 die Testamentsvollstrecker mit umfassenden Rechten zur Verwaltung des Nachlasses ausgestattet und sogar angeordnet, dass die Pflichtteilsberechtigten ihnen gegenüber ihre Ansprüche geltend machen könnten.

Damit sind nach dem Willen des Erblassers ausschließlich die Testamentsvollstrecker für die Verwaltung des Nachlasses zuständig, so dass ein Sicherungsbedürfnis nicht bejaht werden kann. Für eine Pflichtverletzung von Seiten der Testamentsvollstrecker, die eine Schmälerung der Rechte des/der Erben befürchten lassen könnten, ist nichts ersichtlich.

Das Vorliegen von Umständen, die einen Sicherungsanlass bedeuten, reicht nicht aus für das Ergreifen einer Maßnahme zur Nachlasssicherung. Vielmehr ist in jedem Fall zusätzlich ein Bedürfnis zur Fürsorge erforderlich. Ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, entscheidet das Nachlassgericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei ist das Interesse des endgültigen Erben an der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses, aber auch der Erblasserwille maßgebend ( OLG Köln NJW-RR 1989, 454). Ein Fürsorgebedürfnis ist im Regelfall zu verneinen, wenn ein Testamentsvollstrecker oder ein Bevollmächtigter vorhanden ist, dessen Vollmacht über den Tod hinaus reicht ( BGH NJW 1969, 1245).

Ein Fürsorgebedürfnis besteht, wenn ohne das Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wäre ( OLG Düsseldorf FamRZ 2001, 1564 = NJW 2001, 2338 = ZEV 2001, 366; FamRZ 1995, 895; FamRZ 1998, 583). Dafür gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.

Eine Interessenkollision zwischen den Aufgaben der Testamentsvollstrecker einerseits und der zur Alleinerbin berufenen Stiftung andererseits hat der Erblasser nicht gesehen. Er hätte sonst nicht in seinem Testament vom 5.12.2000 ausdrücklich die von ihm berufenen Testamentsvollstrecker gleichzeitig zu alleinigen Vorstandsmitgliedern der Stiftung bestellt (Ziff. III des Testaments vom 5.12.2000, Bl. 31 d. NA.). Damit war für den notariell beratenen Erblasser klar, dass die Einhaltung der Pflichten der Testamentsvollstrecker gegenüber der Alleinerbin in Personalunion von denselben Personen überwacht werden, die auch vertretungsberechtigte Organe der Stiftung sein werden.

Da bisher nichts dazu vorgetragen wurde, dass die Rechte der künftigen Alleinerbin konkret gefährdet wären, durfte sich das Nachlassgericht im Rahmen seiner Ermessensausübung nicht über den eindeutig geäußerten Willen des Erblassers hinwegsetzen und mit der Nachlasspflegschaft eine Anordnung treffen, die die Testamentsvollstrecker in ihrer vom Erblasser umfassend zugedachten Rechtsmacht einschränkt, ohne dass dafür ein Erfordernis erkennbar wäre. Vielmehr werden durch die Nachlasspflegschaft Kosten verursacht, die den Nachlass belasten. Diese Kostenbelastung soll nur eintreten, wenn ein Fürsorgebedürfnis besteht, das im Interesse der Erben zu wahren wäre.

Ob der Erblasser die Testamentsvollstrecker für die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen in Abweichung von § 2213 Abs. 1 Satz 3 BGB passiv legitimieren konnte oder ob die Anordnung in § 6 Abs. 4 des Testaments vom 22.6.1992 eine postmortale Bevollmächtigung der Testamentsvollstrecker darstellt, bedarf hier keiner Entscheidung. In jedem Falle ist auch in dieser Beziehung die Verwaltung des Nachlasses sicher gestellt und insoweit eine Nachlasspflegschaft nicht erforderlich.

Demzufolge war der angegriffene Beschluss aufzuheben.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Der Nachlasswert liegt bei ca. 1,5 Mio. EURO. Die im vorliegenden Beschwerdeverfahren betroffenen Interessen der Beteiligten werden gem. §§ 131 Abs. 2, 30 KostO mit 1/10 davon, demnach mit 150 000 EURO bewertet.