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Die Auslegung eines Testaments ohne bestimmten Ersatzerben im Falle einer Insolvenz – OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.01.2017 – Az. I 3 Wx 257/16

Leitsätzliches:

Eine als Erbe eingesetzte juristische Person kann durch einen Dritten als Begünstigter ersetzt werden, wenn der Wille des Erblassers darauf schließen lässt, dass lediglich dem Zweck, welcher von der juristischen Person verfolgt wurde, mit der Erbeinsetzung gedient werden sollte.

Oberlandesgericht Düsseldorf

Datum: 12.01.2017

Gericht: OLG Düsseldorf

Spruchkörper: I 3 Wx

Entscheidungsart: Beschluss

Aktenzeichen: I 3 Wx 257/16

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1. hält sich für den Alleinerben nach dem Erblasser.

Der Erblasser starb zwischen dem 25. und dem 26. August 2015 im Alter von 47 Jahren. Er war Deutscher, kinderlos und ledig. Seine Eltern waren vorverstorben. Er hatte – abgesehen von einer Schwester – keine Angehörigen. Wegen einer Erkrankung an Chorea Huntington stand der Erblasser seit 1999 unter Betreuung des Zeugen M.. Er errichtete am 17. Juni 2004 vor Notar Dr. K. in Kleve ein notarielles Testament (UR Nr.: 1053/2004), in dem er u.a. Folgendes anordnete:

Zu meinem Alleinerben berufe ich

das Tierheim … Kleve e.V., … in … Kranenburg-Mehr.

Einen Ersatzerben möchte ich für den Fall des Erlöschens des Vereins vorerst nicht bestimmen.”

Der Sitz des Tierheim … Kleve e.V. (im Folgenden: Insolvenzschuldner), über dessen Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 1. Dezember 2013 – 49 IN 27/13 – das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beteiligte zu 1. zum Insolvenzverwalter bestellt wurde, befand sich in der … in Kleve; in der … Strasse lag das von dem Insolvenzschuldner damals betriebene Tierheim.

Mit Kauf- und Übernahmevertrag vom 4. Dezember 2013 erwarb der Beteiligte zu 2. vom Beteiligten zu 1. zur Fortführung des Geschäftsbetriebes “im Wege einer übertragenden Sanierung” zum 1. Dezember 2013 das Inventar des Insolvenzschuldners, sämtliche Tiere und darüber hinaus sämtliche Arbeitsverhältnisse. Er hatte im August 2013 seinen bisherigen Geschäftssitz von Kleve nach Kranenburg verlegt und betreibt seit Dezember 2013 unter der im Testament aufgeführten Anschrift das Tierheim des Insolvenzschuldners weiter.

Die Auflösung des Insolvenzschuldners wurde am 11. Dezember 2013 in das Vereinsregister eingetragen.

Unter dem 9. Dezember 2015 erteilte das Nachlassgericht dem Beteiligten zu 2. auf dessen Antrag einen Erbschein, der ihn als Alleinerben auswies.

Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2015 beantragte der Beteiligte zu 1. dessen Einziehung und die Erteilung eines Erbscheines zu seinen Gunsten.

Das Nachlassgericht wies zunächst zu dem Erbscheinsantrag darauf hin, dass eine eidesstattliche Versicherung erforderlich sei, die gerichtlicher oder notarieller Beurkundung bedürfe.

Sodann wies es – nach Vernehmung des Betreuers des Erblassers zu der Frage, wen der Erblasser habe bedenken wollen – die Anträge des Beteiligten zu 1. zurück. Der Erbschein sei nicht unrichtig. Der Erblasser habe den jeweiligen Betreiber des Tierheims als Erben einsetzen wollen und nicht den Insolvenzschuldner unabhängig von dem Betrieb des Tierheims. Hierfür spreche schon, dass er als Adresse nicht den Sitz des Vereins genannt habe, sondern die Anschrift des Tierheims selbst.

Mit seiner Beschwerde macht der Beteiligte zu 1. geltend, der Erbschein sei unrichtig und somit einzuziehen. Das Testament sei nicht auslegungsfähig. Im Zeitpunkt seiner Errichtung habe der Beteiligte zu 2. noch nicht existiert. Aus der Angabe der Anschrift könne nichts hergeleitet werden, denn im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments habe der Insolvenzschuldner dort noch ein Tierheim geführt. Trotz der Insolvenz könne er weiter Erbe sein.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie mit Beschluss vom 17. Oktober 2016 dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, §§ 58, 59 FamFG.

Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß Art. 229 § 36 EGBGB sind auf Verfahren zur Erteilung von Erbscheinen nach einem Erblasser, der vor dem 17. August 2015 verstorben ist, das Bürgerliche Gesetzbuch und das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. Für die nach diesem Zeitpunkt gestorbenen Erblasser richtet sich das Erbscheinsverfahren nach “neuem” Recht. Hiernach finden auf den vorliegenden Fall die Vorschriften des “neuen” Rechts Anwendung, da der Erblasser nach dem Stichtag gestorben ist.

Es kann dahinstehen, ob der Beteiligte zu 1. sich mit seiner Beschwerde auch gegen die Zurückweisung seines Erbscheinsantrages wendet. Insoweit wäre die Beschwerde schon aus den vom Nachlassgericht in seinem Hinweis vom 6. Jan. 2016 genannten Gründen zurückzuweisen. Darüber hinaus wäre der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1. aber auch deshalb unbegründet, weil der dem Beteiligten zu 2. erteilte Erbschein richtig und daher nicht einzuziehen ist.

Ein Erbschein ist gemäß § 352e Abs. 1 Satz 1 FamFG zu erteilen, wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen als festgestellt erachtet. Ergibt sich die Unrichtigkeit eines erteilten Erbscheins, so ist er einzuziehen, § 353 Abs. 1 FamFG. Ebenso wie das Erbrecht muss auch die Unrichtigkeit des einzuziehenden Erbscheines positiv feststehen, bloße Zweifel genügen nicht (MüKo/Mayer, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Aufl., 2013, § 2361, Rdz. 29).

Der Nachlass wird durch das formgültige und auch im Übrigen wirksame notarielle Testament vom 17. Juni 2004 geregelt. Danach ist der Beteiligte zu 2. alleiniger Erbe des Erblassers.

Der Erblasser hat in seinem notariellen Testament den damals noch nicht in Insolvenz befindlichen Verein zum Alleinerben berufen und dabei als Anschrift nicht dessen Sitz, sondern die Anschrift des damals vom Insolvenzschuldner betriebenen Tierheims angegeben. Bereits deshalb ist die Erklärung des Erblassers auslegungsbedürftig. Hinzu kommen die seit Errichtung des Testaments eingetretenen tatsächlichen Veränderungen. So war der Verein im Zeitpunkt des Erbfalles wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 42 BGB aufgelöst, als sogenannter werbender Verein beendet und zu liquidieren. Der Beteiligte zu 1. hatte den Geschäftsbetrieb / das Tierheim mit Kauf- und Übernahmevertrag vom 4. Dez. 2013 auf den Beteiligten zu 2. übertragen, der ihn “im Wege einer übertragenden Sanierung” fortgeführt hat.

Diese Umstände hat der Erblasser bei Errichtung des Testaments nicht berücksichtigt und bedacht. Sein als Zeuge vernommener Betreuer hat ausgesagt, der Erblasser habe mit ihm darüber gesprochen, dass das Tierheim (!) Erbe werden sollte. Dies habe eine Geschichte gehabt. Als er, der Betreuer die Betreuung übernommen habe, habe der Erblasser Kaninchen gehabt, die verhungert waren, weil er sich nicht um die Versorgung habe kümmern können. Er habe bis zum Lebensende das Gefühl gehabt, das wieder gutmachen zu müssen. Es sei dem Erblasser darauf angekommen, die Tiere in dem Tierheim zu unterstützen. Über das Problem der Trägerschaft habe der Erblasser mit ihm nicht gesprochen. Sie hätten insoweit gar kein Problembewusstsein gehabt.

Mithin ist das notarielle Testament des Erblassers auslegungsbedürftig. Der Erblasser hat die zwischen Testamentserrichtung und Eintritt des Erbfalls eingetretenen Veränderungen weder vorausgesehen noch sonst bedacht. Dies gilt insbesondere für die Tatsache, dass bei einer Alleinerbschaft des im Testament genannten Vereins und heutigen Insolvenzschuldners der Nachlass nicht (mehr) den Tieren im Tierheim in der Keekener Strasse zugutekäme, sondern ausschließlich den Gläubigern des Insolvenzschuldners.

Die vom Nachlassgericht insoweit vorgenommene (ergänzende) Auslegung ist nicht zu beanstanden.

Steht fest, dass die letztwillige Verfügung angesichts der vom Erblasser damit verfolgten Ziele lückenhaft ist, hält sich auch die ergänzende Testamentsauslegung an den festgestellten Willen des Erblassers und richtet sich vorrangig an den in der Verfügung erkennbaren festgelegten Zielen aus. Sie setzt voraus, dass aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar ist, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht und beruht damit auf dem Erblasserwillen bei Testamentserrichtung (vgl. Palandt/Weidlich, 76. Aufl., § 2084, 9 m. N.).

Mit Zuwendungen an juristische Personen will der Erblasser regelmäßig nicht die juristische Person um ihrer selbst willen, sondern den Zweck fördern, dem die juristische Person dient. Nimmt eine andere juristische Person die Aufgaben der bedachten und nicht (mehr) bestehenden juristischen Person wahr, entspricht es daher in der Regel dem Erblasserwillen, dass sie als Trägerin der zu fördernden Aufgabe Zuwendungsempfängerin sein soll (Staudinger/ Otte, Neubearbeitung 2013, BGB, § 2084, 13 m.N.).

So liegt der Fall hier.

Zwar ist der ursprünglich im Testament bedachte Verein (noch) nicht erloschen, sondern nur aufgelöst; er nimmt aber die Aufgabe, um derentwillen er als Erbe eingesetzt wurde, nicht mehr wahr und dies wird auch zukünftig nicht mehr der Fall sein können. Denn der Abschluss des Insolvenzverfahrens führt – von Sonderfällen abgesehen – in der Regel zum Erlöschen des Vereins (vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 42, 2)

Ohne Erfolg führt der Beteiligte zu 1. an, dass der Beteiligte zu 2. bei Errichtung des Testaments noch nicht existiert habe. Im Rahmen der ergänzenden Testamentsauslegung ist lediglich zu fragen, was nach der festzustellenden Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als von ihm gewollt anzusehen gewesen wäre, wenn er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte (KG ErbR 2016, 331 [71]). Es ist weder erforderlich noch möglich, dass er konkret an einen noch nicht existierenden Begünstigten gedacht hat. Aus diesem Grunde kommt es auch nicht darauf an, dass der Insolvenzschuldner im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments noch Träger des Tierheims war.

Soweit der Erblasser im notariellen Testament verfügt hat, “Einen Ersatzerben möchte ich für den Fall des Erlöschens des Vereins vorerst nicht bestimmen.” ergibt sich daraus für die Auslegung nichts Anderes. Vielmehr belegt dieser Satz zum einen, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments (noch) keinen (konkreten) Anlass gesehen hat, einen Ersatzerben zu bestimmen. Zum anderen gab es im Zeitpunkt der Testamentserrichtung gerade keinen anderen (potentiellen) Träger des Tierheims, dem nach dem Willen des Erblassers der Nachlass zugutekommen sollte.

Die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung sollte von der Bestimmung eines Ersatzerben ersichtlich nicht abhängen, § 2086 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 61 Abs. 1 GNotKG. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten wird, anhand des wirtschaftlichen Interesses des Beteiligten zu 1. und damit nach der Höhe des Nachlasses zu bestimmen, die der Senat auf 100.000 € schätzt.