Leitsätzliches:
2. Ein Zusammenleben ist nicht erforderlich.
Oberlandesgericht Nürnberg
Datum: 08.06.2011
Gericht: OLG Nürnberg
Spruchkörper: 9 UF
Entscheidungsart: Beschluss
Aktenzeichen: 9 UF 388/11
Gründe:
Die gemäß §§ 58 ff., 63 ff. FamFG statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Fürth/Bayern vom 20.1.2011 zum Ausspruch der Annahme der Beteiligten K. S. als Kind der Eheleute H. G. M. und H. M., § 1768 Abs. 1 BGB.
Die internationale Zuständigkeit für den Ausspruch der Annahme folgt aus § 101 Nr. 1 FamFG. Die Annehmenden sind deutsche Staatsangehörige. Die Anzunehmende ist polnische Staatsangehörige, die ihren ständigen Aufenthalt seit 1995 in Deutschland hat.
Gemäß Art. 22 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegt die Annahme als Kind dem Recht des Staates, dem die Annehmenden zum Zeitpunkt der Annahme angehören. Für das Zustandekommen der Adoption und deren Wirkungen gelten deshalb die Vorschriften der §§ 1767 ff. BGB, die - anders als das polnische Recht - in § 1767 Abs. 1 BGB den Ausspruch der Volljährigenadoption zulassen, wenn sie sittlich gerechtfertigt ist. Die Zustimmungserfordernisse unterliegen nach Art. 23 EGBGB zusätzlich den Bestimmungen des Staates, dem die Anzunehmende angehört, demnach polnischem Recht, hilfsweise dem deutschem Recht, soweit das Wohl der Anzunehmenden dessen Anwendung erfordert.
Der Antrag auf Ausspruch der Annahme wurde in der Urkunde des Notars N. S. in L. vom 13.7.2010 (URNr. S ...) nach §§ 1767 Abs. 2, 1752 BGB formgerecht gestellt. Die Alterserfordernisse nach §§ 1767 Abs. 2, 1743 BGB sind erfüllt. Der Ehemann der Anzunehmenden R. S. hat die gemäß § 1749 Abs. 2 BGB erforderliche Einwilligung zur Annahme seiner Ehefrau als gemeinschaftliches Kind der Ehegatten H. G. und H. M. erteilt.
Die Einwilligung der leiblichen Eltern der Anzunehmenden ist nach deutschem Recht nicht erforderlich. Die Rechte und Pflichten aus dem Verwandtschaftsverhältnis der Angenommen und ihrer Abkömmlinge werden nach § 1770 Abs. 2 BGB durch die Annahme nicht berührt. Die Angenommene scheidet durch die Annahme nicht aus der Herkunftsfamilie aus.
Das polnische Recht geht in Art. 114 FVGB davon aus, dass nur minderjährige Personen, die nicht verheiratet sind, adoptiert werden können (Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Band XVI, Stichwort "Polen", Seite 36). Demgemäß sieht das polnische Recht kein Zustimmungserfordernis der leiblichen Eltern vor.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Fürth/Bayern hat den Antrag auf Annahme den Eltern der Anzunehmenden zugestellt; damit wurden mögliche Auswirkungen der Annahme auf das natürliche Elternrecht der leiblichen Eltern berücksichtigt. Von ihrem Recht zur Stellungnahme haben beide Elternteile keinen Gebrauch gemacht. Die förmliche Beteiligung und Anhörung der Eltern der Anzunehmenden ist nicht erforderlich, weil eine Annahme mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme nach § 1772 BGB, die in die Verwandtschaftsverhältnisse der Anzunehmenden eingreift, nicht beantragt wurde (Prütting - Krause - FamFG, § 188 Rn 13).
Die Annahme der am ...1975 geborenen K. S. als gemeinschaftliches Kind der Eheleute H. G. und H. M. ist nach § 1768 Abs. 1 BGB auszusprechen, denn ein Eltern-Kind-Verhältnis, das die Annahme nach § 1767 Abs. 1, 2. Halbsatz BGB sittlich rechtfertigt, ist bereits entstanden.
Die Anforderungen, die an das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu stellen sind, können naturgemäß im Rahmen der Erwachsenenadoption nicht dieselben sein wie bei der Minderjährigenadoption. Das Eltern-Kind-Verhältnis unter Erwachsenen wird wesentlich durch eine auf Dauer angelegte Bereitschaft zum gegenseitigen Beistand geprägt, den sich leibliche Eltern und Kinder üblicherweise gegenseitig leisten (BayObLG FamRZ 1980, 1158 ff ., BayObLGZ 2002, 243 , BayObLG MittBayNot 2003, 141, OLG München BeckRS 2005, 13619). Das Eltern-Kind-Verhältnis kann auch mit einem bereits Volljährigen begründet werden. Ein tatsächliches Zusammenleben ist nicht erforderlich. Maßgebend ist eine dauernde innere, seelisch-geistige Verbundenheit, wie sie zwischen Eltern und Kind auch nach dessen Volljährigkeit prägend bleibt.
Das familienbezogene Motiv muss als Hauptzweck der Annahme die sonstigen Nebenzwecke, wie etwa die Erlangung steuerlicher Vorteile bei der Rechtsnachfolge, deutlich überwiegen (OLG München BeckRS 2009, 04003).
Diese Voraussetzungen sind nach der Anhörung der Beteiligten und der minderjährigen Tochter der Anzunehmenden M. S. im vorliegenden Fall erfüllt.
Der Annehmende H. G. M. war als Berufsschullehrer tätig, die Annehmende H. M. als Lehrerin. Die Ehe blieb kinderlos. Beide sind im Ruhestand. Mit den Eheleuten S. wurden sie im Jahr 2000 beim Umbau ihres Anwesens in F., ..., bekannt, bei dem der Ehemann der Anzunehmenden als Schlosser mitarbeitete. Später mieteten die Eheleute S. das Haus. Auch die Mutter der Anzunehmenden K. S. wohnt mit in dem Haus, wenn sie sich in Deutschland aufhält. Durch gegenseitige Einladungen intensivierte sich der Kontakt. Beide Seiten nahmen an den familiären Entwicklungen regen Anteil, die Eheleute M. insbesondere an der Geburt und der Kindheit der jetzt 8 Jahre alten Tochter M. der Eheleute S. Die Eheleute M. unterhalten zur Tochter M. Beziehungen, wie sie sonst zwischen Großeltern und einem Enkelkind üblich sind. Die familienähnlichen Beziehungen werden dadurch zusätzlich gefestigt.
Für den Senat ist nicht zweifelhaft, dass eine auf Dauer angelegte Bereitschaft zum gegenseitigen Beistand zwischen den Beteiligten besteht. Die Eheleute S. unterstützen die Eheleute M. seit Jahren durch Mitarbeit im Haus und Garten und sind zu ihrer weiteren Unterstützung im Alter bereit. Die Eheleute M. helfen der Anzunehmenden K. S. bei der Betreuung der Tochter M. und fördern Mutter und Kind in materieller und immaterieller Hinsicht.
Die gegenseitige Beziehung ist auf Dauer angelegt. Die Beteiligten begehen die Feiertage und Geburtstage gemeinsam und haben wiederholt Urlaube miteinander verbracht. Es ist deshalb nicht zweifelhaft, dass seit Jahren eine familienähnliche Beziehung im Sinne eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen den Annehmenden und der Anzunehmenden besteht.
Das familienbezogene Motiv ist das Hauptmotiv der Annahme. Die Beteiligten wollen dem Eltern-Kind-Verhältnis durch die Adoption einen entsprechenden rechtlichen Rahmen geben. Steuerliche und sonstige wirtschaftliche Erwägungen stehen nach der bei der Anhörung gewonnenen Überzeugung des Senats nicht im Vordergrund.
Dass auch dahin gehende Motive bestehen, schadet nicht, weil es sich nach dem Ergebnis der Anhörung im Beschwerdeverfahren um Nebenmotive handelt (BayObLG FamRZ 2005, 546 ). Auch wenn die Eheleute M. sich testamentarisch gegenseitig als Erben und die Anzunehmende K. S. als Schlusserbin einsetzten, steht die Erlangung erbschaftssteuerlicher Begünstigungen, die mit dem Eltern-Kind-Verhältnis im Erbfall verbunden sind, nicht im Vordergrund. Dahin gehende Erwägungen der Eheleute M., die sie zur Niederschrift des Amtgerichts Fürth/Bayern vom 20.1.2010 erklärten, stehen der Annahme eines gewachsenen Eltern-Kind-Verhältnisses als Hauptgrund der Annahme bei Würdigung der engen persönlichen Verbindungen, wie sie bei der Anhörung im Beschwerdeverfahren deutlich wurden, nicht entgegen.
Der Annahme entgegenstehende überwiegende Interessen des Kindes der Anzunehmenden nach § 1769 BGB sind nicht festzustellen.
Die Annahme der Beteiligten K. S. als gemeinschaftliches Kind der Eheleute H. G. und H. M. wird nach § 1768 Abs. 1 BGB durch den Senat ausgesprochen. Aus den dargelegten Gründen besteht ein Eltern-Kind-Verhältnis, das die Annahme sittlich rechtfertigt.
Die Angenommene erlangt dadurch die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Eheleute M., § 1767 Abs. 2, 1754 Abs. 1 BGB.
Gemäß §§ 1767 Abs. 2, 1757 Abs. 1 BGB erhält die Angenommene künftig den Geburtsnamen M. Der Ehename wird dadurch nicht berührt wird. Die Angenommene führt weiterhin den Familiennamen S.
Im Übrigen bestimmen sich die Wirkungen der Annahme nach § 1770 Abs. 1 bis 3 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.
Die Festsetzung des Verfahrenswerts auf ... € entspricht nach Auffasssung des Senats billigem Ermessen im Sinn des § 42 Abs. 2 FamGKG unter Berücksichtigung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beteiligten und der Bedeutung der Sache.
Die Festsetzung des Verfahrenswerts in Ziffer 2 des angefochtenen Beschlusses hat keinen Bestand, weil es sich um eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit handelt.
Gemäß § 197 Abs. 3 FamFG ist der Beschluss nicht mit einem Rechtsmittel anfechtbar.