Leitsätzliches:
2) Ist das Erbe durch den Erblasser gleichmäßig einem Stamm zugedacht worden, steht die Wahl eines Ersten seines Stammes nicht der Annahme entgegen, dass der Stamm an sich die eigentliche Wahl des Erben ist.
Oberlandesgericht München
Datum: 26.04.2017
Gericht: OLG München
Spruchkörper: 31 Wx
Entscheidungsart: Beschluss
Aktenzeichen: 31 Wx 378/16
Gründe:
I.
Die verwitwete Erblasserin ist am XXX verstorben. Das einzige Kind der Erblasserin aus der Ehe mit ihrem am XXX vorverstorbenen Ehemann ist am XXX vorverstorben.
Die Erblasserin errichtete am 26.2.1989 ein Testament mit folgendem Inhalt:
“München, den 26.02.1990
Mein letzter Wille
Zu meiner alleinigen Erbin berufe ich meine Kusine Fr. W. V. geb. am xx.xx.1938, wohnhaft in ….
Diese Erbin belaste ich mit der Erfüllung folgender Vermächtnisse, die innerhalb von 3 Monaten nach meinem ableben zu erfüllen sind.
Ich wende meinen Kusinen Fr. R. E. geb. am xx.xx.1939, wohnhaft in … und Frau I. H. geb. am xx.xx.1928, wohnhaft in Edmonton … Canada, je 1/3 des bei meinem ableben vorhandenen Barvermögens; wozu auch Sparguthaben, Wertpapiere u. Beteiligungen rechnen, zu
Der hinterlassene Schmuck gebührt der Erbin als Vorausvermächtnis und den beiden vorgenannten Vermächtnisnehmern zu je 1/3 wobei die Aufteilung der einzelnen Stücke wertmäßig zu erfolgen hat.
(eigenhändige Unterschrift der Erblasserin)”
Bei den bedachten Personen handelt es sich um Cousinen der Erblasserin mütterlicherseits. Die väterliche Seite ist im Testament nicht bedacht.
Die im Testament genannte W.V. ist ihrerseits im Jahre XXX vorverstorben und wurde von ihrer Tochter, der Beteiligten zu 2 beerbt. Auch die im Testament genannte E.H. ist im Jahre XXX verstorben.
Die Beteiligte zu 2 beantragte einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist mit der Begründung, sie sei Ersatzerbin nach ihrer verstorbenen Mutter geworden.
Dem tritt der Beschwerdeführer entgegen. Er ist der Ansicht, dass eine Ersatzerbfolge nicht angeordnet sei, so dass die gesetzliche Erbfolge eingreifen würde.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Senat teilt die Ansicht des Nachlassgerichts, dass die Beteiligte zu 2 als Ersatzerbin nach ihrer Mutter berufen ist.
Eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung findet sich in dem Testament vom 26.2.1990 allerdings nicht.
a) Die Auslegungsregel des § 2069 BGB, wonach dann, wenn der Erblasser einen Abkömmling bedacht hat und dieser nach Errichtung des Testaments wegfällt, im Zweifel dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden, kann hier deshalb nicht anwendet werden, weil als Schlusserben eine Cousine, nicht aber ein Abkömmling der Erblasserin bedacht wurde. Diese Auslegungsregel kann auch nicht entsprechend angewendet werden. Sie ist Ausprägung einer allgemeinen Lebenserfahrung. Bei einer nur in der Seitenlinie verwandten Person oder anderen nahen Verwandten fehlt es an dieser Erfahrungsgrundlage, so dass eine analoge Anwendung grundsätzlich ausscheidet. In diesen Fällen erfordert die Annahme einer Ersatzberufung der Abkömmlinge des Zuwendungsempfängers eine zusätzliche Begründung auf der Grundlage des durch ergänzende Auslegung zu ermittelnden Erblasserwillens (allg. Meinung vgl. nur OLG Düsseldorf NJW-RR 2014, 1287/1288).
b) Die ergänzende Auslegung setzt voraus, dass das Testament eine planwidrige Regelungslücke aufweist, die durch den festzustellenden Willen des Erblassers zu schließen ist. Dabei muss aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar sein, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht. Durch sie darf kein Wille in das Testament hingetragen werden, der darin nicht andeutungsweise ausgedrückt ist (vgl. NK-Erbrecht/Feindl 4. Auflage <2014> § 2084 Rn. 45; Burandt/Rojahn Erbrecht 2. Auflage <2014> § 2084 Rn. 17; Palandt/Weidlich BGB 76. Auflage <2017> § 2084 Rn. 9 m.w.N.). Durch ergänzende Testamentsauslegung kann also die durch den Wegfall des Bedachten entstandene Lücke nur dann geschlossen werden, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments oder unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung des Erblassers dafür eine genügende Grundlage bietet (BGHZ 22, 357 <360>; LM § 2078 Nr. 3; FamRZ 1983, 380 <382>; MüKoBGB/Leipold 7. Auflage <2017> § 2084 Rn. 95 m.w.N.). Nach der Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung muss anzunehmen sein, dass er die Ersatzerbeneinsetzung gewollt hätte, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte (OLG München FGPrax 2013, 177 <178>).
2. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer hat das Nachlassgericht die Ersatzerbenstellung der Beteiligten zu 2 zutreffend festgestellt.
a) Das Testament vom 26.2.1990 enthält eine planwidrige Lücke, die im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung geschlossen werden kann. Die Erblasserin hat in ihrem Testament keine Anordnung insoweit getroffen, was geschehen soll, wenn die von ihr als Erbin eingesetzte Cousine, Frau W, V., ihrerseits den Erbfall nicht erlebt.
Es ist in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht fernliegend, dass im Hinblick auf das Alter der Bedachten V. (XXX Jahre) im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 26.2.1990 deren Vorversterben vor Eintritt des Erbfalls von der Erblasserin nicht in Erwägung gezogen wurde, zumal diese selbst 9 Jahre älter war, so dass vorliegend die Regelungslücke auch planwidrig in Bezug auf die nicht geregelte Ersatzerbenbestimmung ist.
b) Es ist daher zu prüfen, was die Erblasserin gewollt hätte, wenn sie bei Errichtung des Testaments das Vorversterben ihrer Cousine bedacht hätte.
Der Senat teilt insofern die Auffassung des Nachlassgerichts, dass die Erblasserin die Tochter ihrer Cousine als Ersatzerbin benannt haben würde, wenn sie den Umstand des Vorversterbens bedacht hätte.
(1) Für die Annahme einer Ersatzerbenstellung ist es nicht ausreichend, dass die ursprünglich als Erbin eingesetzte W. V. ein enges Verhältnis zu der Erblasserin hatte. Eine solche, einem Abkömmling im Sinne des § 2069 BGB vergleichbare Stellung des Weggefallenen ist vielmehr allgemeine Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung zur Bestimmung von Ersatzerben, weil es andernfalls an dem zur Formwahrung erforderlichen Anhalt im Testament selbst fehlt (vgl. OLG München FamRZ 2014, 514; BayObLG FamRZ 1991, 865; KG FamRZ 1977, 344/345 f.; KG FamRZ 2011, 928/929). Eine ergänzende Auslegung gemäß dem Rechtsgedanken des § 2069 BGB erfordert vielmehr zusätzlich, dass sich aus sonstigen letztwilligen Bestimmungen oder auch außerhalb des Testaments liegenden Umständen ergibt, dass die Zuwendung der Bedachten als Erste ihres Stammes und nicht nur ihr persönlich gegolten hat (vgl. BGH NJW 1973, 240/242; BayObLGZ NJOZ 2005, 1070/1073 ; OLG München FamRZ 2010, 1846).
(2) Ein starkes Indiz dafür, dass weniger die Personen als solche als die jeweiligen Stämme bedacht werden sollte, liegt regelmäßig darin, wenn die Verwandten wie bei der gesetzlichen Erbfolge gleichmäßig bedacht werden, der Erblasser sich also mehr vom formalen Kriterium der Gleichbehandlung leiten lässt, als davon, zu wem er ein gutes oder weniger gutes Verhältnis hat (OLG München FamRZ 2011, 1692/1693; NJW-RR 2007, 1162/1164). Maßgebend für die Feststellung dieser Willensrichtung ist allein der Zeitpunkt der Testamentserrichtung.
Maßgeblich ist insoweit, dass sie als Erste ihres Stammes und nicht lediglich als Person bedacht worden ist.
Zwar hat die Erblasserin, die keine Geschwister hatte, nachdem ihr Sohn ohne Hinterlassung von Abkömmlingen im Jahre XXX verstorben war, von den drei Stämmen aus der mütterlichen Linie und zwei Stämmen aus der väterlichen Linie lediglich einen Stamm (XXX) formal als Erben bedacht, woraus auch der Schluss gezogen werden könnte, dass die Erblasserin ihre Cousine XXX nur persönlich und gerade nicht als Erste ihres Stammes bedenken wollte.
Allerdings ist im Rahmen der ergänzenden Testamentsauslegung auch der übrige Inhalt des Testaments und die allgemeine Lebenserfahrung zu berücksichtigen. Insoweit ist es nach Ansicht des Senats ebenfalls ein wesentliches Indiz, dass die Erblasserin in ihrem Testament vom 26.2.1990 auch zwei weitere Stämme der mütterlichen Linie bedacht und dabei ihr gesamtes Vermögen unter diesen Stämmen gleichmäßig verteilt hat. Sie hat den beiden anderen Cousinen der mütterlichen Linie ebenfalls jeweils 1/3 ihres Vermögens zugewendet, wenn auch nur im Vermächtniswege. Das legt den Schluss nahe, dass sie jedenfalls einerseits wollte, dass ihr Vermögen vollständig und ausschließlich in der mütterlichen Linie verbleibt und die väterliche Linie von der Teilhabe an ihrem Nachlass ausgeschlossen werden sollte. Andererseits spricht die wirtschaftlich gleichmäßig Beteiligung am Nachlass dafür, dass die Erblasserin die Cousinen der mütterlichen Linie jeweils als Erste ihrers Stammes angesehen und nicht die persönliche Beziehung zu diesen im Vordergrund stand.
Die Vermächtnisse sind nach dem Willen der Erblasserin so ausgestaltet, dass die beiden Vermächtnisnehmerinnen jeweils 1/3 des beim Tod der Erblasserin vorhandenen Barvermögens, wozu ohne Weiteres auch das Guthaben auf Konten zählt (BayObLG FamRZ 2004, 312; Firsching/Graf Nachlassrecht 10. Auflage 2014 Rn. 1.284) – zugewendet hat. Auch der Schmuck sollte unter den drei Cousinen gleichmäßig verteilt werden, was ein weiteres Indiz dafür ist, dass bei der Erblasserin der Stammesgedanke im Vordergrund stand. Dies gilt vor allem deshalb, weil auch insoweit die Aufteilung nach dem Willen der Erblasserin im Ergebnis wertmäßig erfolgen sollte, was sich unter Umständen nur durch eine Verwertung des Schmuckes und eine Auskehr des Erlöses oder jedenfalls durch ausgleichende Zahlungen bewerkstelligen lässt. Insofern strebte die Erblasserin ersichtlich eine Lösung an, bei der ihre bedachten Cousinen am Ende wertmäßig völlig gleichbehandelt sind.
Dass die Erblasserin dabei nur eine Cousine als Erbin eingesetzt und damit in rechtlicher Hinsicht hervorgehoben hat, lässt nach Auffassung des Senats hingegen nicht zwingend den Schluss zu, sie habe diese (nur) persönlich und nicht als Erste ihres Stammes bedacht. Es liegt vielmehr nach der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus nahe, dass die Erblasserin damit lediglich Schwierigkeiten vermeiden wollte, die dadurch hätten entstehen können, dass mit der Cousine XXX, die in Kanada lebte, eine Erbengemeinschaft zu bilden und auseinander zu setzen gewesen wäre. Der im Testament niedergelegte Wille im Hinblick auf die formale Erbenstellung ist mithin eher ein Indiz dafür, dass die Erblasserin eine einfache Abwicklung ihres Nachlasses anstrebte.
Durch die Benennung der Cousine W. V. als Erbin ist der Wille der Erblasserin für die Anordnung der Nacherbfolge auch hinreichend angedeutet.
Damit ist im Hinblick auf das Vorversterben der W. V. Ersatzerbfolge eingetreten, so dass sich die angefochtene Entscheidung als zutreffend erweist.
II.
Der Beschwerdeführer hat Kraft Gesetz die Gerichtskosten seiner erfolglosen Beschwerde zu tragen (§ 22 Abs. 1 GNotkG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf dem Interesse des Beschwerdeführers, gesetzlicher Erbe zu 1/5 zu werden. Gemäß §§ 61, 40 Abs. 1 FamFG war zur Berechnung der reine Nachlasswert ohne Abzug von Vermächtnissen zugrunde zu legen, da die Vermächtnisse alle Erben treffen sollen (OLG Schleswig FamRZ 2015, 786).
III.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.