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Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit – KG Berlin, Beschluss vom 10.07.2018 – Az. 6 W 35/18

Leitsätzliches:

1) Wenn die in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen der Eheleute nicht ausdrücklich in Bezug aufeinander abgegeben wurden, kann eben dies nicht ohne weiteres unterstellt werden.
2) Die Feststellung, dass einem vorverstorbenen Ehegatten die Einsetzung von Kindern des Überlebenden aus früherer Ehe als Schlusserben in vergleichbarer Art und Weise wichtig war, bedarf konkreter Anhaltspunkte.

Kammergericht Berlin

Datum: 10.07.2018

Gericht: KG Berlin

Spruchkörper: 6 W

Entscheidungsart: Beschluss

Aktenzeichen: 6 W 35/18

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 2. wendet sich mit ihrer am 14. Mai 2018 eingegangenen Beschwerde gegen den Beschluss vom 19. April 2018, mit dem das Nachlassgericht im Sinne des § 352 Abs. 1 S. 1 FamFG die für die Erteilung eines Alleinerbscheins zu Gunsten des Beteiligten zu 1. erforderlichen Tatsachen festgestellt hat.

Sie ist der Ansicht, dem Testament der Erblasserin vom 22. März 2010 komme aus mehreren Gründen keine Rechtswirksamkeit zu, weshalb sich die Erbfolge nach den Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament der Erblasserin mit ihrem im Jahr 1994 vorverstorbenen zweiten Ehemann vom 26. Juli 1981 richte.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 16. Mai 2018 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausführlichen und zutreffenden Sachverhaltsdarstellungen in der angefochtenen Entscheidung und der Nifchtabhilfeentscheidung vom 16. Mai 2018 verwiesen.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. ist gemäß §§ 58. ff FamFG zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

In der Sache bleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Nachlassgericht die Tatsachen, die für den Erlass des vom Antragsteller beantragten Alleinerbscheins erforderlich sind, festgestellt. Die gegen diese Entscheidung vorgebrachten Beschwerdeangriffe rechtfertigen keine andere Entscheidung. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Beratung den zutreffenden Begründungen der angefochtenen Entscheidung und der Nichtabhilfeentscheidung in allen Punkten an.

1. Das notarielle Testament der Erblasserin vom 22. März 2010 ist formgerecht (§ 2231 Nr. 1 BGB) errichtet worden.

Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung nicht mehr im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB in der Lage war, die Bedeutung einer von ihr abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, liegen nicht vor.

Dass die Erblasserin in dem Testament die Existenz ihrer Tochter, der Beschwerdeführerin, gänzlich unerwähnt gelassen hat, hat auf die formelle Wirksamkeit der Testamentserrichtung keinen Einfluss.

2. Die Erblasserin war auch nicht durch das im Juli 1981 gemeinsam mit ihrem vorverstorbenen zweiten Ehemann errichtete gemeinschaftliche Testament im Sinne des § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB gehindert, abweichend von den dort getroffenen Anordnungen zur Schlusserbfolge zu testieren, weshalb auch ihre diesbezügliche Angabe im Eingang der letztwilligen Verfügung rechtlich zutreffend war.

Gemäß § 2253 BGB sind letztwillige Verfügungen durch den Erblasser zu Lebzeiten frei widerruflich; entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin gilt dies im Grundsatz auch für Verfügungen, die Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament (§ 2267 BGB) getroffen haben. Bereits die Regelung des § 2270 BGB belegt, dass nicht jeder in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügung Wechselbezüglichkeit zukommt. Vielmehr ist dies nach § 2270 Abs. 1 BGB nur der Fall, wenn im Einzelfall festgestellt werden kann, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre. Dabei ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB ein solches Verhältnis der Verfügungen im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zu Gunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Nur wenn ein gemeinschaftliches Testament danach wechselbezügliche Verfügungen enthält, kann der überlebende Ehegatte nach dem Tod seines Ehepartners gemäß § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB seine eigenen, letztwilligen Verfügungen nicht mehr frei widerrufen, wenn er die ihm zugewandte Erbschaft nach dem Erstverstorbenen nicht ausgeschlagen hat.

Dies zugrunde gelegt war die Erblasserin vorliegend nicht gehindert, abweichend von ihrer letztwilligen Verfügung in dem gemeinschaftlichen Testament neu zu testieren, weil ihre in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen -soweit im März 2010 noch relevant- zu der Verfügung des vorverstorbenen Ehemannes, sie zu seiner Alleinerbin zu bestimmen, nicht im Sinne der §§ 2270, 2271 BGB wechselbezüglich war.

Da die Abkömmlinge des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1994 ihren Pflichtteil geltend gemacht haben und damit aufgrund der in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen sogen. “Pflichtteilstrafklausel” von der Erbfolge nach der Erblasserin ausgeschlossen sind (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 249 – 250, zitiert nach juris, dort Rdz. 20 ff), hat das Nachlassgericht die Prüfung, ob die Einsetzung der Erblasserin zur Alleinerbin durch ihren vorverstorbenen zweiten Ehemann im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB nicht erfolgt wäre, wenn die Erblasserin nicht zugleich die Abkömmlinge zu gleichen Teilen zu Schlusserben bestimmt hätte, zutreffend auf die Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1. und 2. beschränkt. Ebenso zutreffend hat das Nachlassgericht festgestellt, dass das Testament eine ausdrückliche Anordnung der Wechselbezüglichkeit der darin enthaltenen Verfügungen nicht enthält. Insbesondere kann eine solche Anordnung nicht schon aus den in einem gemeinschaftlichen Testament üblichen Formulierungen wie “Unser Testament”, “…uns gegenseitig zu Alleinerben…” und “…unsere Kinder zu …” hergeleitet werden kann; vielmehr bedarf es bei dem Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung der Wechselbezüglichkeit der Auslegung der testamentarischen Erklärungen (vgl. auch BayObLG FamRZ 2004, 142 – 144, zitiert nach juris, dort Rdz. 26). Folgerichtig hat das Nachlassgericht deshalb im Rahmen einer Testamentsauslegung zu ermitteln versucht, ob die hier maßgeblichen letztwilligen Verfügungen -die Einsetzung der Erblasserin als Alleinerbin durch ihren zweiten Ehemann und die Schlusserbeneinsetzung der Kinder der Erblasserin durch diese- erkennen lassen, dass die eine Verfügung im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB nicht ohne die andere getroffen worden wäre. Das wäre nur dann der Fall, wenn Anhaltspunkte dafür festgestellt werden könnten, dass der zweite Ehemann der Erblasserin diese für den Fall seines Vorversterbens nicht zu seiner Alleinerbin bestimmt hätte, wenn die Erblasserin nicht zugleich für den Fall ihres Nachversterbens die Beteiligten zu 1. und 2. zu ihren Schlusserben bestimmt hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Die von der Beteiligten zu 2. in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 2002 (NJW 2002, 1126 – 1127) betrifft -jedenfalls nachdem die Abkömmlinge des zweiten Ehemannes der Erblasserin nach dessen Tod im Jahr 1994 ihren Pflichtteil geltend gemacht und deshalb aufgrund der in dem gemeinschaftlichen Testament vereinbarten Pflichtteilsstrafklausel aus der Schlusserbfolge ausgeschieden sind- einen nicht vergleichbaren Sachverhalt. Denn während vorliegend die nicht mit dem erstverstorbenen Ehemann der Erblasserin verwandten Kinder der Erblasserin als Schlusserben eingesetzt worden sind, waren es in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Kinder des erstverstorbenen Ehegatten. Dies stellt einen gravierenden Unterschied dar. Denn in dem Fall, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag, hatte der erstverstorbene Ehemann sein eigenes Kind -Erbe erster Ordnung- durch die Einsetzung der Ehefrau zur Alleinerbin enterbt. Dass er diese Verfügung nicht getroffen hätte, wenn nicht zugleich seine Ehefrau diesen Abkömmling zu ihrem Schlusserben eingesetzt hätte, liegt nahe. Dagegen kann mangels konkreter Anhaltspunkte vorliegend nicht festgestellt werden, dass es dem 1994 vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin in vergleichbarer Art und Weise wichtig war, dass die Erblasserin ihre eigenen Kinder, insbesondere die Beteiligte zu 2., zu Schlusserben bestimmt, so dass er im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB von der Einsetzung seiner Ehefrau als Alleinerbin abgesehen hätte, wenn die Ehefrau nicht zugleich bereit gewesen wäre, ihre eigenen Kinder zu bedenken. Selbst auf der Grundlage der nachrangig anzuwendenden Zweifelsregelung des § 2270 Abs. 2 BGB könnte deshalb vorliegend eine Wechselbezüglichkeit der Verfügungen nicht festgestellt werden. Denn die Beteiligte zu 2. war nicht mit dem zweiten Ehemann der Erblasserin verwandt und es sind auch keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder sonst erkennbar, dass zwischen ihr und dem zweiten Ehemann der Erblasserin ein konkretes Näheverhältnis im Sinne dieser Vorschrift -an dessen Feststellung grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen sind, um die Vermutung nicht zur gesetzlichen Regelung werden zu lassen (OLG Hamm FamRZ 2010, 1201 – 1203, zitiert nach juris, dort Rdz. 33 m.w.N.)- bestand.

3. Das notarielle Testament der Erblasserin vom 22. März 2010 ist schließlich auch nicht gemäß §§ 2078, 2079 BGB aufgrund der seitens der Beschwerdeführerin erklärten Testamentsanfechtung unwirksam geworden. Zutreffend weist das Nachlassgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung darauf hin, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die letztwillige Verfügung vom 22. März 2010 -Bestimmung des Antragstellers zum Alleinerben unter gleichzeitiger Enterbung der Beschwerdeführerin- auf einen Irrtum der Erblasserin zurückzuführen sein könnte. Da eine Enterbung anders als eine Entziehung des Pflichtteils weder eines Grundes noch einer Begründung bedarf, ist es auch unschädlich, dass das Testament vom 22. März 2010 die Motivation der Erblasserin nicht wiedergibt.

4. Zutreffend hat das Nachlassgericht in der angefochtenen Entscheidung die im Testament angeordnete Testamentsvollstreckung unbeachtet gelassen. Denn diese war lediglich für den Fall des Eintritts des Ersatzerbfalls zu einer Zeit, in der die als Ersatzerben berufenen Abkömmlinge des Antragstellers noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben sollten- angeordnet worden; der Ersatzerbfall ist jedoch nicht eingetreten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Die Wertfestsetzung auf die Hälfte des um die vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten bereinigten Nachlasswert (§ 40 Abs. 1 S. 1 und 2 GNotKG) folgt aus §§ 61 Abs. 1 und 2, 36, 40 Abs. 1 und 2 GNotKG und der Wertangabe in der Erbscheinverhandlung (vgl. OLG MünchenErbR 2017, 576 – 578, zitiert nach juris, dort Rdz. 69/72 ff).

Gründe, gemäß § 70 Abs. 2 FamFG die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zuzulassen, liegen nicht vor.