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Keine Vererbung von Sozialhilfeansprüchen – LSG NI-HB, Urteil vom 20.12.2017 – Az. L 8 SO 293/15

Leitsätzliches:

Sozialhilfeansprüche sind grundsätzlich nicht vererblich. Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geholfen oder die Leistung abgelehnt hat, die hilfebedürftige Person zu Lebzeiten aber ihren Bedarf mithilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung vorleistenden Dritten gedeckt hat.

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen

Datum: 20.12.2017

Gericht: LSG NI-HB

Spruchkörper: L 8

Entscheidungsart: Urteil

Aktenzeichen: L 8 SO 293/15

Tatbestand:

Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger seiner am 20. August 2008 verstorbenen Ehefrau Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII (Grundsicherungsleistungen) für die Zeit von August 2006 bis zum Tod seiner Ehefrau.
Der am 18. September 1943 geborene Kläger und seine am 2. Januar 1943 geborene Ehefrau bewohnten seit März 2005 eine Mietwohnung im Kreisgebiet des Beklagten, für die im streitigen Zeitraum eine monatliche Gesamtmiete von 553,00 € zu entrichten war. Die Ehefrau, die als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen G, B und aG anerkannt war, bezog eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (monatlicher Zahlbetrag ab Juli 2005: 548,87 €; ab Juli 2006: 549,17 €; ab Juli 2007: 552,11 €) und anstelle dieser Rente ab September 2007 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (monatlicher Zahlbetrag ab September 2007: 573,74 €). Sie war pflegebedürftig und bezog von der Pflegekasse Pflegegeld nach Pflegestufe II (410,00 € monatlich, ab Juli 2008: 420,00 €).
Seit Juni 2005 bezogen der Kläger und die Ehefrau von der ARGE Jobcenter Cuxhaven (im Folgenden: ARGE) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die Rente der Ehefrau wurde als Einkommen angerechnet. Im Bescheid vom 8. August 2006, mit dem Leistungen für die Monate September bis November 2006 festgesetzt wurden, wies die ARGE darauf hin, dass die Ehefrau auf Grund der dauerhaften Erwerbsunfähigkeit einen Leistungsanspruch nach dem SGB XII habe, und forderte sie auf, die Leistungen beim Beklagten zu beantragen.
Den am 30. August 2006 gestellten Antrag der Ehefrau auf Grundsicherungsleistungen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. September 2006 ab. Die Ehefrau sei nach ihren Vermögensverhältnissen nicht hilfebedürftig. Die Guthaben auf dem Girokonto und dem Sparbuch beliefen sich auf 5.885,16 € und überstiegen damit den Freibetrag von 3.214,00 €. Die Ehefrau habe die Möglichkeit, einen Wohngeldantrag zu stellen. Den Widerspruch der Ehefrau gegen den Bescheid vom 14. September 2006 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2006 zurück. In der Begründung führte er aus, dass nach den Einkommensverhältnissen keine Hilfebedürftigkeit vorliege. Neben der Rente sei ein Wohngeldanspruch in Höhe von 82,00 € als Einkommen zu berücksichtigen.
Nach der Ablehnung von Grundsicherungsleistungen gewährte die ARGE der Ehefrau Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von September 2006 bis Dezember 2007, der Leistungsbezug endete wegen der Vollendung des 65. Lebensjahres am 2. Januar 2008. Der Kläger bezog von der ARGE noch bis September 2008 Leistungen nach dem SGB II und bezieht seit Oktober 2008 eine Altersrente (monatlicher Zahlbetrag ab Oktober 2008 960,60 €).
Auf den im September 2006 gestellten Antrag bewilligte der Beklagte der Ehefrau mit Bescheid vom 3. Januar 2007 Wohngeld für die Zeit von September 2006 bis August 2007 in Höhe von 82,00 € monatlich. Das Wohngeld für die Monate September 2006 bis Januar 2007 in Höhe von insgesamt 420,00 € wurde im Januar 2007 ausgezahlt. Nachdem die Ehefrau im Zusammenhang mit dem Antrag auf Weitergewährung von Wohngeld auf den Leistungsbezug nach dem SGB II hingewiesen hatte, lehnte der Beklagte diesen Antrag ab (Bescheid vom 23. August 2007) und forderte das für die Zeit von September 2006 bis August 2007 gewährte Wohngeld in Höhe von 984,00 € zurück (Bescheid vom 25. September 2007). Der Beklagte hob den Bescheid vom 25. September 2007 teilweise – hinsichtlich der Monate September 2006 bis Mai 2007 – auf und reduzierte die Rückforderung auf 246,00 € (Teilabhilfebescheid vom 7. Mai 2008), zugleich nahm er den Bewilligungsbescheid vom 3. Januar 2007 für die Zeit von September 2006 bis Mai 2007 zurück und forderte Wohngeld in Höhe von 738,00 € zurück (Rücknahme- und Rückforderungsbescheid vom 7. Mai 2008). Die Ehefrau erhob gegen den Bescheid vom 23. August 2007, den Bescheid vom 25. September 2007 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 7. Mai 2008 und den weiteren Bescheid vom 7. Mai 2008 jeweils Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Stade, die Klageverfahren wurden vom Kläger nach dem Tod seiner Ehefrau fortgeführt. Die Klagen blieben erfolglos (Urteile des VG Stade vom 15. Januar 2009 – 4 A 1170/07, 4 A 1359/07, 4 A 777/08 – und Beschlüsse des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juli 2010 – 4 LA 60/09, 4 LA 61/09, 4 LA 59/09 -).
Bereits mit Schreiben vom 4. September 2007 hatte die Ehefrau einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X hinsichtlich des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2006 gestellt. Sie verwies zur Begründung darauf, dass das Wohngeld nunmehr zurückgefordert werde und daher nicht als Einkommen hätte angerechnet werden dürfen. Der Antrag wurde zu Lebzeiten der Ehefrau nicht mehr beschieden. Im Hinblick darauf, dass die Ehefrau ab Januar 2008 keine Leistungen nach dem SGB II mehr bezog, forderte der Beklagte sie auf, unter Verwendung des vorgesehenen Vordrucks Grundsicherungsleistungen zu beantragen (Schreiben vom 4. Dezember 2007 und 31. März 2008). Nach dem Tod seiner Ehefrau verfolgte der Kläger deren Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen weiter. Auf erneute Aufforderung des Beklagten reichte er im Januar 2010 ein ausgefülltes Antragsformular sowie Nachweise zu den wirtschaftlichen Verhältnissen ein.
Der Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 15. Juli 2010 ab, den Bescheid vom 14. September 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2006 nach § 44 SGB X zurückzunehmen. Der Grundsicherungsantrag sei zu Recht wegen des vorhandenen Vermögens abgelehnt worden. Es sei auch davon auszugehen, dass das Vermögen noch bis zum Tod der Ehefrau vorhanden gewesen sei, denn der Kläger habe es nach seinem Vorbringen im Wesentlichen zur Deckung der Bestattungskosten verwendet. Im Übrigen habe die Ehefrau bis zum 1. Januar 2008 Leistungen nach dem SGB II erhalten. Mit weiterem Bescheid vom 15. Juli 2010 lehnte der Beklagte die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 2. Januar bis zum 20. August 2008 ab und verwies auch insoweit auf das in dieser Zeit noch vorhandene Vermögen der Ehefrau. Der Kläger erhob gegen die Bescheide vom 15. Juli 2010 Widerspruch. Er vertrat die Auffassung, dass das zu Lebzeiten seiner Ehefrau vorhandene Vermögen als Schonvermögen anzusehen war. Wegen der Schwerstbehinderung seiner Ehefrau, die auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen gewesen sei, hätten sie Geld für die Anschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeuges angespart. Der Beklagte wies die Widersprüche nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter (§ 116 Abs. 2 SGB XII) mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 1. November 2010 zurück.
Am 11. November 2010 hat der zwischenzeitlich in Bremerhaven wohnende Kläger gegen die Bescheide vom 15. Juli 2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1. November 2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Stade erhoben, das sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Bremen verwiesen hat (Beschluss vom 17. November 2010).
Der Kläger hat als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab September 2006 begehrt. Ergänzend zu seinem Vorbringen im Widerspruchsverfahren hat er insbesondere ausgeführt, dass das Vermögen aus dem Pflegegeld angespart worden sei. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei ein Vermögensschutz nach § 90 Abs. 3 SGB XII anzunehmen. Er hat weiter gerügt, dass die Leistungsberechnung des Beklagten auch im Übrigen fehlerhaft sei, und im Einzelnen erläutert, warum aus seiner Sicht ein höherer Bedarf anzuerkennen und ein geringeres Einkommen anzurechnen sei. Die Leistungsansprüche seiner Ehefrau seien auf ihn als Erben übergegangen. Dies ergebe sich aus § 59 Satz 2 SGB I. Im Rahmen eines Erörterungstermins hat er die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. September 2006 bis zum 1. September 2007 in Höhe von 18,96 € monatlich sowie die Neubescheidung “hinsichtlich der Berechnung der SGB II- und SG-B XII-Ansprüche” beantragt.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. September 2015 abgewiesen. Soweit die Klage auf Neubescheidung gerichtet sei, sei sie unzulässig. Ein entsprechender Anspruch sei nicht vererbbar. Im Übrigen sei die Klage zumindest unbegründet. Der Kläger habe keinen Nachzahlungsanspruch. Das vorhandene Vermögen sei nur nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII geschützt gewesen, ein weitergehender Vermögensschutz nach § 90 Abs. 3 SGB XII habe nicht bestanden.
Gegen den am 19. September 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. Oktober 2015 eingelegte Berufung des Klägers. Er wendet sich gegen die Annahme, dass die Ansprüche seiner Ehefrau mit deren Tod erloschen sind, und erläutert, warum seine Ehefrau einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen gehabt habe. Zudem rügt er, dass das SG wegen der Komplexität der rechtlichen Fragen nicht durch Gerichtsbescheid hätte entscheiden dürfen. Bei der Kostenentscheidung habe das SG die fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrungen in den Widerspruchsbescheiden vom 1. November 2010 nicht berücksichtigt. Auf Anfrage des Senats hat der Kläger mitgeteilt, dass seine Ehefrau kein Testament errichtet habe und sein Sohn und er gesetzliche Erben geworden seien.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 15. September 2015 und die Bescheide des Beklagten vom 15. Juli 2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1. November 2010 aufzuheben,
den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 14. September 2006 ihm – dem Kläger – als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für die Zeit vom 1. August 2006 bis zum 20. August 2008 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 27. März und 13. April 2017 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (betreffend Grundsicherungsleistungen und Wohngeld) und des Jobcenters Cuxhaven verwiesen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Gründe:

Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist ohne Zulassung statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist aber unbegründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid leidet nicht unter einem Verfahrensfehler, der einer Sachentscheidung im Berufungsverfahren entgegensteht. Es kommt nicht darauf an, ob die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG vorgelegen haben. Selbst wenn – wie vom Kläger gerügt – dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre der Senat an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG) sind nicht erfüllt, weil selbst bei Vorliegen eines Verfahrensfehlers jedenfalls keine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig gewesen wäre und das Landessozialgericht (LSG) allenfalls zur Zurückverweisung berechtigt, aber nicht verpflichtet wäre (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 10).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Klagebegehren ist dahin auszulegen (§ 123 SGG), dass der Kläger als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. August 2006 bis zum 20. August 2008 geltend macht. Soweit sie die Leistungen für die Zeit bis zum 1. Januar 2008 betrifft, ist die Klage statthaft als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und 3, Abs. 4 SGG (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 8 SO 24/14 R – juris Rn. 10), im Übrigen – bezogen auf die Zeit vom 2. Januar bis zum 20. August 2008 als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Die Anfechtungsklage ist gerichtet auf die (gerichtliche) Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 15. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2010, die Verpflichtungsklage auf die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 14. September 2006 nach § 44 SGB X und die Leistungsklage auf die Gewährung der streitigen Leistungen. Das Vorbringen des Klägers kann – anders als vom SG angenommen – nicht dahin ausgelegt werden, dass er daneben noch die Bescheidung der von seiner Ehefrau bzw. ihm gestellten Anträge begehrt (vgl. § 88 Abs. 1 SGG). Insoweit wäre eine Klage offensichtlich unzulässig, weil der Beklagte über die Anträge mit den angefochtenen Bescheiden bereits entschieden hat. Soweit der Kläger die Ansprüche im erstinstanzlichen Verfahren für die Zeit von September 2007 bis zum 20. August 2008 nicht beziffert hat, ist die Klage zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils gerichtet gewesen (BSG, Urteil vom 28. Februar 2013 – B 8 SO 4/12 R – juris Rn. 9).

Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Der Kläger ist klagebefugt (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG), weil die Möglichkeit besteht, dass ihm als Rechtsnachfolger die geltend gemachten Ansprüche zustehen. Wegen fehlender Prozessführungsbefugnis ist eine Klage nur dann unzulässig, wenn der Kläger – anders als im vorliegenden Fall – ein Recht geltend macht, das nach seinem eigenen Vorbringen einem anderen zusteht, und kein Fall einer zulässigen Prozessstandschaft vorliegt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, Vor § 51 Rn. 15). Die Frage, ob tatsächlich eine Rechtsnachfolge eingetreten ist, betrifft die Begründetheit der Klage (BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 11/09 R – juris Rn. 11). In Betracht kommen sowohl eine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I als auch eine Gesamtrechtsnachfolgen durch Vererbung (§ 58 SGB I i.V.m. § 1922 BGB). Schon wegen der Möglichkeit einer Sonderrechtsnachfolge ist es unerheblich, dass das Verfahren allein vom Kläger und nicht auch von dessen Sohn betrieben wird, mit dem er eine Erbengemeinschaft bildet. Im Übrigen ist jeder Miterbe nach § 2039 Satz 1 BGB berechtigt, zum Nachlass gehörende Ansprüche in gesetzlicher Prozessstandschaft und damit im eigenen Namen für die Erbengemeinschaft klageweise geltend zu machen (BSG, Beschluss vom 25. Februar 2015 – B 3 P 15/14 B – juris Rn. 8). Der Miterbe kann allerdings, wie sich ebenfalls aus § 2039 Satz 1 BGB ergibt, die Leistung grundsätzlich nicht an sich, sondern nur an alle Erben fordern. Es ist anerkannt, dass § 2039 BGB auch auf öffentlich-rechtliche Ansprüche anwendbar ist (BSG, Beschluss vom 30. März 2004 – B 7 SF 36/03 S – juris Rn. 8). Der Miterbe ist zum Rechtsstreit nicht notwendig beizuladen (BSG, Beschluss vom 25. Februar 2015 – B 3 P 15/14 B – juris Rn. 8).

Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 14. September 2006 nach § 44 SGB X zurückzunehmen und dem Kläger als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. August 2006 bis zum 20. August 2008 zu gewähren. Dem Kläger steht weder ein Rücknahmeanspruch noch der streitige Leistungsanspruch zu.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Wenn eine rückwirkende Leistungsgewährung ausgeschlossen ist, besteht mangels eines rechtlich geschützten Rücknahmeinteresses kein Rücknahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dies betrifft vor allem die Fälle, in denen rückwirkende Leistungen nach § 44 Abs. 4 SGB X (i.V.m. § 116a SGB XII) nicht mehr in Betracht kommen (BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 – B 7 AY 6/12 R – juris Rn. 10). Im Sozialhilferecht kann im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X eine rückwirkende Leistungsgewährung auch dann nicht mehr erreicht werden, wenn die Bedürftigkeit zumindest zeitweise entfallen ist (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 8 SO 24/14 R – juris Rn. 16). In einem solchen Fall kann ebenfalls kein Rücknahmeanspruch bestehen (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 16/08 R – juris Rn. 22).

Vorliegend kann offen bleiben, ob die Ehefrau des Klägers bis zu ihrem Tod einen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 14. September 2006 hatte. Allerdings spricht vieles dafür, dass die mit diesem Bescheid erfolgte Ablehnung von Grundsicherungsleistungen rechtswidrig war. Es ist davon auszugehen, dass nach den Vermögensverhältnissen der Ehefrau und des Klägers Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 19 Abs. 2 Satz 1, § 41 Abs. 1, § 43 SGB XII vorlag. Bei ihr war – anders als vom Beklagten angenommen – nicht nur ein Vermögensfreibetrag in Höhe von 3.214,00 € zu Grunde zu legen. Da sie mit dem Kläger bei Erlass des Bescheides vom 14. September 2006 eine sogenannte gemischte Bedarfsgemeinschaft bildete, in der ein Partner grundsätzlich nach dem SGB II oder der andere grundsätzlich nach dem SGB XII leistungsberechtigt ist, war über den kleinen Barbetrag (§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) hinaus im Wege des gesetzlichen Härtefalls (§ 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) ein gemeinsamer Vermögensfreibetrag geschützt, der sich aus dem maßgeblichen Barbetrag für die Ehefrau sowie dem nach dem SGB II zu berechnenden Freibetrag für den Kläger ergab (BSG, Urteil vom 20. September 2012 – B 8 SO 13/11 R -). Auf der anderen Seite liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der zunächst entstandene Rücknahmeanspruch der Ehefrau wegen eines zeitweisen Wegfalls der Hilfebedürftigkeit untergegangen ist. Sie dürfte im Januar 2007 zu berücksichtigendes Einkommen erzielt haben, das ihren Bedarf überstieg. Neben ihrer Rente war die in diesem Monat zugeflossene Wohngeldnachzahlung zu berücksichtigen. Der Anrechnung des Wohngeldes steht dessen spätere Rückforderung nicht entgegen, denn die Rückzahlungsverpflichtung ist (frühestens) mit dem Erlass des Rücknahme- und Rückforderungsbescheides des Beklagten vom 7. Mai 2008 und damit nach dem Monat des Zuflusses entstanden (BSG, Urteil vom 23. August 2011 – B 14 AS 165/10 R – juris Rn. 25).

Jedenfalls ist ein etwaiger Rücknahmeanspruch nicht auf den Kläger übergegangen. Grundsätzlich kann ein Rücknahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 SGB X zusammen mit dem zu Grunde liegenden Sozialhilfeanspruch auf einen Rechtsnachfolger übergehen, wenn – wie hier die Ehefrau des Klägers – der verstorbene Leistungsberechtigte das Überprüfungsverfahren noch zu Lebzeiten in Gang gesetzt hat (zur Sonderrechtsnachfolge gemäß § 19 Abs. 6 SGB XII: BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 8 SO 23/15 R – juris Rn. 15). Umgekehrt ist ein isolierter Übergang des Rücknahmeanspruchs – ohne Übergang des Sozialhilfeanspruchs – ausgeschlossen.

Der Kläger ist nicht Rechtsnachfolger hinsichtlich eines möglichen Anspruchs seiner Ehefrau auf Grundsicherungsleistungen geworden.

Es ist keine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I eingetreten. § 56 SGB I ist auf Sozialhilfeansprüche nicht anwendbar, weil das SGB XII insoweit abweichende Regelungen im Sinne von § 37 Satz 1 SGB I trifft. Ausgangspunkt ist der höchstpersönliche Charakter des Sozialhilfeanspruchs. Die Sozialhilfe dient der Deckung eines konkreten und aktuellen Bedarfs des jeweiligen Leistungsberechtigten. Der höchstpersönliche Charakter des Anspruchs wird gesetzlich in § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII anerkannt, wonach der Anspruch auf Sozialhilfe nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann (hierzu: Coseriu in jurisPK-SG-B XII, 2. Auflage 2014, § 17 Rn. 18, 28). Dass der Sozialhilfeanspruch regelmäßig mit dem Tod des Leistungsberechtigten untergeht, wird zudem in § 19 Abs. 6 SGB XII vorausgesetzt. Darin wird als Ausnahme von der Regel unter den in der Vorschrift normierten Voraussetzungen eine Sonderrechtsnachfolge angeordnet (allgemein zu § 19 Abs. 6 SGB XII als Regelung einer Sonderrechtsnachfolge: BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R – juris Rn. 11). Die Vorschrift beruht auf der Wertung, dass die Träger von Einrichtungen und Pflegepersonen, die dem Leistungsberechtigten zu Lebzeiten Hilfe geleistet haben, in ihrem Vertrauen auf die Gewährung von Sozialhilfe besonders schutzwürdig sind (Coseriu, a.a.O., § 19 Rn. 53-55). Es handelt sich insoweit um eine abschließende Regelung. Auch wenn die Voraussetzungen für eine Sonderrechtsnachfolge nach § 19 Abs. 6 SGB XII nicht vorliegen, ist daher kein Raum für einen Rückgriff auf § 56 SGB I (Senatsurteil vom 20. August 2015 – L 8 SO 75/11 – juris Rn. 67; Mrozynski in SGb 2016, 358, 360f).

Die Voraussetzungen für eine Sonderrechtsnachfolge gemäß § 19 Abs. 6 SGB XII liegen nicht vor. Bei den streitigen Leistungen handelt sich nicht um Leistungen für Einrichtungen, im Streit ist auch kein Anspruch auf Pflegegeld nach § 64 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (nunmehr § 64a SGB XII).

Ein etwaiger Anspruch der Ehefrau auf Grundsicherungsleistungen ist nicht vererbt worden. Sozialhilfeansprüche sind nach Maßgabe von §§ 58, 59 SGB I nur vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mithilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geholfen oder die Leistung abgelehnt hat (BSG, Urteil vom 23. Juli 2014 – B 8 SO 14/13 R – juris Rn. 12). Die Hilfe kann in einer darlehensweisen Geldleistung bestehen, in Betracht kommt aber auch eine anderweitige Bedarfsdeckung, durch die Kosten angefallen sind. Ausschlaggebender Gesichtspunkt ist insoweit, dass nach dem Tod des Leistungsberechtigten eine auf der anderweitigen Hilfe beruhende Nachlassverbindlichkeit besteht (BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 – B 8 SO 14/16 R – juris Rn. 14; zum BSHG: Bundesverwaltungsgericht – BVerwG -, Urteil vom 5. Mai 1994 – 5 C 43/91 – juris Rn. 11 ff). Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Leistungsberechtigte den Bedarf mit eigenen Mitteln gedeckt hat, auch wenn der Einsatz dieser Mittel von ihm sozialhilferechtlich nicht verlangt werden konnte (BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1994 – 5 C 43/91 – juris Rn. 14; Bayerisches LSG, Urteil vom 22. November 2016 – L 8 SO 205/15 – juris Rn. 49).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die möglichen Grundsicherungsansprüche der Ehefrau des Klägers nicht vererbt worden. Es fehlen Anhaltspunkte, dass sie wegen der Nichtgewährung von Grundsicherungsleistungen die Hilfe eines Dritten – beispielsweise durch Gewährung eines Darlehens – in Anspruch genommen hat und hierdurch eine entsprechende Nachlassverbindlichkeit entstanden ist. Dass sie den notwendigen Lebensunterhalt möglicherweise auch aus dem von der Pflegekasse gewährten Pflegegeld und dem vorhandenen Vermögen bestritten hat, kann keine Vererblichkeit der Grundsicherungsansprüche begründen. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass das Pflegegeld nicht als Einkommen berücksichtigt werden durfte (§ 13 Abs. 5 Satz 1 SGB XI) und das Vermögen nach § 90 Abs. 2, 3 SGB XII geschützt gewesen sein dürfte. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Ehefrau zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts bis Dezember 2007 auch die Leistungen nach dem SG-B II zur Verfügung standen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Das Verfahren ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 19. Januar 2017 – B 8 SO 82/16 B – juris Rn. 10) nach § 183 Satz 1 SGG kostenprivilegiert. Demnach reicht es für die Kostenprivilegierung aus, dass – wie im vorliegenden Fall – die Möglichkeit einer Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I besteht. Unerheblich ist danach, ob sich der Kläger ausdrücklich hierauf beruft. Ob hieran auch zukünftig festzuhalten ist, wird der Senat im Hinblick auf einen Ausschluss der Sonderrechtsnachfolge bei Leistungen nach dem SGB XII bei weiteren ähnlich gelagerten Fällen prüfen.

Es ist nicht gerechtfertigt, die außergerichtlichen Kosten des Klägers zumindest teilweise dem Beklagten aufzuerlegen. Ausschlaggebend ist insoweit, dass die Klage ohne Erfolg geblieben ist. Dass nach den Rechtsbehelfsbelehrungen in den Widerspruchsbescheiden vom 1. November 2010 die Klage beim SG Stade zu erheben war, kann keine – auch keine teilweise – Kostentragung des Beklagten rechtfertigen. Dem Kläger sind durch die insoweit fehlerhaften Belehrungen keine rechtlichen Nachteile entstanden.

Ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.